Kultur:Die Geister der Gesellschaft

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Für ihre interaktive Installation "Specters of the Internet" erhalten Nick Förster und Lena-Maria Stupitzky den Förderpreis des Landkreises. (Foto: Johannes Simon)

Der Landkreis vergibt zum 21. Mal seinen Kunstpreis. Ausgezeichnet werden Porträts, die den Umgang mit alten Menschen kritisieren und eine Installation, die tief in Zwischenwelten eintaucht.

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Es ist Jahr eins nach dem großen Jubiläum. 2022 hat der Landkreis seinen Kunstpreis zur 20. Auflage mit einer Ausstellung und einem umfassenden Katalog gefeiert, noch einmal alle prämierten Arbeiten im Kunsthaus versammelt - umweht von einem Hauch Nostalgie und Stolz gleichermaßen. Die große Frage ist nun, kann der 21. Kunstpreis 2023 an diese kulturelle Partystimmung anknüpfen oder erwacht er mit einem Aftershow-Kater? Gelingt es, aus der Vielzahl an Bewerberinnen und Bewerbern aus der Kunstszene des Landkreises würdige Gewinner für den Haupt- und den Nachwuchspreis zu küren?

Die gute Nachricht: Ja, es ist gelungen. Mit Hanna Strahl als Kunstpreisträgerin und dem Duo Lena-Maria Stupitzky und Nick Förster als Förderpreisträger. Sie alle zeigen eindrucksvolle Arbeiten, die sowohl inhaltlich als auch in der Umsetzung zwar nicht weiter auseinander liegen könnten. Und die doch beide auf großartig-kritisch Weise einen Blick auf zentrale Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens werfen. Die Arbeiten der Preisträger sind aktuell ebenso in einer Ausstellung im Kunsthaus Fürstenfeldbruck zu sehen wie die Werke von 27 anderen Bewerberinnen und Bewerbern.

Hannah Strahl stellt mit ihren Porträts die Frage danach, wie die Gesellschaft mit alten Menschen umgeht. Dafür erhält sie den Kunstpreis des Landkreises. (Foto: Johannes Simon)

Den Anfang macht Hanna Strahl. Die 76-jährige Olchingerin ist seit Jahrzehnten fester und bekannter Teil der Kunstszene des Landkreises, Mitglied der Künstlervereinigung Fürstenfeldbruck, war von 1998 bis 2003 Leiterin der Schule der Fantasie in Eichenau. Sie hat von 1998 bis 2020 ein kunsttherapeutisches Projekt an der Brucker Werkstatt geleitet und betreibt seit zehn Jahren ein Atelier für Kunst und Gestaltung in Olching.

In ihren beiden mit dem Kunstpreis ausgezeichneten Gemälden wirft sie die Frage auf, wie die Gesellschaft mit den Menschen umgeht, die zu alt geworden sind, um sich aktiv am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen und es noch selbstbestimmt zu gestalten. Und landet dort, wo viele Menschen ihren Lebensabend verbringen (müssen): im Altenheim. Dargestellt sind die damit einhergehende Einsamkeit und der mit einem Heimaufenthalt noch viel zu oft verbundene Verlust der Würde bei Stahl in zwei ausdrucksstarken Porträts: Eine alte Frau ("Wer oder was bin ich"), stehend - oder eher gebückt -, rosa Kleid, umgeben von einer gelb-orangen Aura. Sonst bleibt die Leinwand leer.

Das Porträt "Wer oder was bin ich?" zeigt eine alte Frau, die Strahl in einem Altenheim kennengelernt hat. (Foto: Johannes Simon)

Bild zwei, "Einsamkeit", zeigt einen alten Mann, auf einem angedeuteten Sofa oder Bett sitzend, die Hände auf den Knien, der Blick verloren seitlich nach unten gerichtet. Auch hier: Viel Weißraum auf der Leinwand, die Einrichtung des Raums nur in Teilen und schemenhaft angedeutet. Der Betrachtende sieht nur die beiden Menschen, die Aufmerksamkeit ist alleine auf sie gerichtet, ihnen gebührt, vielleicht zum letzten Mal, die volle Aufmerksamkeit. Ihre Haltungen, der Ausdruck auf den Gesichtern, erzählen dabei ganze Lebensgeschichten und auch von einer schwer festzumachenden Sehnsucht.

Auslöser für eine ganze Reihe solcher Porträts sei gewesen, dass sie vor zwei Jahren miterlebt hat, wie ihre Tante von einem Tag auf den nächsten ins Heim musste, erzählt Stahl. Dort habe sie sich mit den Menschen unterhalten, Menschen, die noch das Nötigste bekommen: Essen, Medikamente, Körperpflege. "Aber was sie brauchen, gibt es nicht mehr". Aufmerksamkeit und Würde etwa oder Dinge, die ihnen etwas bedeuten - und die sie oft bei ihrem Umzug haben zurücklassen müssen.

In eine komplett andere Welt - oder besser gesagt zwei Welten - tauchen die Förderpreisträger Lena-Maria Stupitzky, 27, geboren in Stephansberg, und Nick Förster, 30, geboren in Grafrath, in ihrer interaktiven Installation "Specters of the Internet - A Cybernetic Séance" ein. Stupitzky studiert Kommunikationsdesign an der Hochschule München und ist Mitglied des Kollektivs Crémbach, Förster hat in München und Aarhus Architektur studiert, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Architekturinformatik an der TU und hat 2022 den Förderpreis für Architektur München erhalten.

"Specters of the Internet" ist eine komplexe Arbeit, mit der man sich einige Zeit beschäftigen muss, um sie wirklich zu verstehen. Aber der Aufwand lohnt sich. Denn den beiden gelingt es auf wunderbare Weise, den digitalen Raum und seine physischen Spuren in der materiellen Welt mit dem Jahrhunderte alten Glauben an eine Geisterwelt und deren Manifestationsformen im Diesseits zu verbinden. Ihre Installation ist eine moderne Form des Ouija - jenem Buchstabenbrett, mit dem man mit der Geisterwelt kommunizieren können soll, wie manche glauben.

Eine Verbindung zwischen Geister- und digitaler Welt, zieht die Installation der Förderpreisträger. (Foto: Johannes Simon)

Nur dass bei Stupitzky und Förster die Decke nicht die Buchstaben des Alphabets trägt, sondern - unter anderem - das sogenannten OSI-Modell, das die sieben Schichten technischer Kommunikationsprozesse beschreibt. Das Künstlerduo zieht damit eine bewusste Parallele zu den neun Höllenkreisen in Dantes Inferno. Auf der Decke finden sich allerhand technische Geräte, unter anderem eines, das den Raum auf Wlan-Signale scannt und eines, das elektromagnetische Wellen misst. Ein Computer zeigt, mit wie vielen anderen Geräten sich ein Smartphone im Hintergrund verbindet und Daten austauscht. Und quasi als Highlight gibt es eine einfache künstliche Intelligenz, mit der die Besucher auf dem eigenen Smartphone über einen QR-Code chatten können.

Mit technischen Geräten lassen sich die elektromagnetischen Wellen und Wlan-Signale im Raum messen. (Foto: Johannes Simon)

All diese Elemente setzen die beiden Künstler zu einer zehnminütigen Video-Séance zusammen. Mit einer ordentlichen Portion Ironie greifen sie darin das Ritual der Geisterbeschwörung auf und stellen ganz moderne Fragen an digitale Kommunikation und den Umgang damit. An Prozesse, die für manch einen ebenso geisterhaft sind wie ein unerklärliches Klopfen an die Wand oder ein umgekippter Stuhl. Und mit ihrem Aufbau zeigen sie, wie diese digitalen Prozesse durch Unmengen elektrischer Felder Teil der realen Welt sind. Das alles ist so komplex wie smart - durch den spielerischen Umgang des Duos aber auch so wunderbar bildhaft, dass gerade für digitale Laien ganz neue Welten sichtbar werden.

21. Kunstausstellung des Landkreises Fürstenfeldbruck, Kunsthaus Fürstenfeldbruck, zu sehen bis 5. November, dienstags bis samstags von 13 bis 17 Uhr und sonn- und feiertags von elf bis 17 Uhr.

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