Süddeutsche Zeitung

Kunst:"Das darf nicht verloren gehen"

Niclas Willam-Singer zeigt mit den Olchinger Künstlern Krippen in der Erlöserkirche

Interview von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Wer in diesen Tagen die evangelische Erlöserkirche betritt, der wird nicht nur von adventlicher Musik in Empfang genommen, sondern der entdeckt auch überall in Kirchenraum verteilt interessante Kunstwerke. Denn der Raum dient in diesen Wochen nicht nur für Gottesdienste, sondern auch als Ausstellungsraum. Die Gruppe der Olchinger Künstler zeigt dort thematisch passend ihre "Künstlerkrippen". Zudem finden sich an den Wänden Malereien und Installationen, die sich mit dem Weihnachtsgeschichte beschäftigen. Organisator ist der ehemalige Pfarrer der Erlöserkirche und Künstler Niclas Willam-Singer.

SZ: Krippen sind nicht unbedingt ein klassisches Sujet für Künstler. Was hat Sie daran gereizt?

Willam-Singer: Es war vor langer, langer Zeit . . . Nein, eigentlich war es 2017, als ich im Diözesanmuseum Freising eine Ausstellung mit Handwerkerkrippen gesehen habe. Ich fand irre, was die sich haben einfallen lassen, und ich hatte schon damals die Idee, das müssten wir Künstler doch auch mal machen. Normale Krippen, die Schnitzerein aus Oberammergau, das ist ja alles sehr schön, aber ein bisschen aus der Zeit gefallen. Mich hat interessiert, wie man Weihnachten, den Moment der Menschwerdung Gottes, modern umsetzen kann.

Wie haben die Künstler auf Ihre Idee reagiert?

Für viele war es ein Thema, mit dem sie sich so noch nicht auseinandergesetzt haben. Die Krippe stand halt einfach unter dem Christbaum. Bei denen, die mitgemacht haben, hat sich schon etwas in Bewegung gesetzt. Ich habe auch gleich drei Anfragen bekommen, ob es etwas provokativ sein darf. Ich habe natürlich gesagt ja, das nehme ich auf meine Kappe. Es ist doch auch gut, wenn Leute reinkommen und sagen "Nö". Und sich dann fragen, warum eigentlich nö? Ich habe mir die Arbeiten auch vorher nicht angeschaut. Kritisiert wird nachher, nicht vorher.

Waren Sie gar nicht neugierig?

Ich habe dieses Motto von einem Mentor, meinem Lehrpfarrer, übernommen. Dass man nicht vorher schon darüber spricht und es dann heißt, mach es so oder so, das will ich nicht haben. Erst im Nachhinein wird überlegt, was man verbessern kann. Das habe ich mitgenommen und finde es positiv.

Sind die beteiligten Künstler eigentlich selbst religiös?

Mir ist egal, ob sie gläubig sind, ob sie in einer Kirche sind oder nicht. Von den meisten weiß ich es tatsächlich nicht einmal. Mir ging es auch um etwas anderes. Um die künstlerische Auseinandersetzung mit einem allgemeingängigen theologischen Thema. Es geht um eine Geschichte, die wir alle kennen, weil wir sie Hunderttausend Mal gehört haben, im Kindergarten, Schule, Weihnachten. Selbst Menschen, die nicht glauben, stellen sich eine Krippe unter den Christbaum, das gehört einfach dazu.

Welche Arbeiten haben Sie am meisten überrascht?

Die Puppe von Hermine Schmid, die fragt, was wäre gewesen, wenn es ein Mädchen geworden wäre. Ich habe 1983 angefangen, aber noch nie über diese Frage nachgedacht. Oder das Gemälde "Family" von Corina Steiner. Ich habe x-mal über die Heilige Familie gesprochen. Und sie malt zwei Männer mit Hund. Da merkt man dann, der Familienbegriff wie er in der Bibel gemeint ist, passt einfach nicht mehr. Wir haben uns als Gesellschaft geändert. Ganz allgemein hat mich aber die Vielfalt der Arbeiten erstaunt.

Was kann die Symbolik der Krippe heute noch vermitteln?

Sie kann nachdenklich machen. In dieser Umbruchzeit, in der viele auseinanderrücken, kann sie vielleicht sagen: Lasst euch nicht auseinandertreiben. Das darf nicht verloren gehen - sonst sind wir verloren.

Ausstellung "Künstler-Krippen", Erlöserkirche Fürstenfeldbruck, bis Sonntag, 19. Dezember, täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2021
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