Kreisheimatpfleger präsentiert Dokumente:Zwangsarbeit im Moos

Russische Kriegsgefangene mussten das Haspelmoor trockenlegen

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Etwa eintausend russische Kriegsgefangene haben große Flächen des Haspelmoors entwässert. Untergebracht waren sie in einem großen Schuppen am Bahndamm. Kreisheimatpfleger Toni Drexler präsentiert dazu einige Dokumente in der neuen Ausgabe der Zeitschrift Amperland. Das ist verdienstvoll, da über diese Arbeitslager bislang wenig bekannt ist. Der Brucker Stadtarchivar Gerhard Neumeier beschreibt in einem weiteren Aufsatz, wie die Einwohnerzahl des Landkreises seit der Reichsgründung von 1871 ständig wuchs.

Bis zum Herbst 1916 gab es in Deutschland insgesamt 2,5 Millionen Kriegsgefangene. Sie wurden in Offiziers- und Mannschaftslagern interniert, letztere waren in Stamm- und Arbeitslager unterteilt. Ein solches Stammlager befand sich in Puchheim, von wo aus 1915 die Arbeitslager bei Geltendorf, Dachau und Haspelmoor gegründet wurden. Am 16. Mai 1915 marschierte eine Kolonne aus tausend Gefangenen mit einer Kompanie von Wachsoldaten in Puchheim los zur Bahnstation von Haspelmoor im Westen. Die Gefangenen hausten in einem sechzig Meter langen und zehn Meter breiten Schuppen, in dem früher Torf gelagert worden war. Mit Bohlen und Brettern wurde der Raum in zwei Stockwerke unterteilt. Der Kommandeur bezog zwei "sehr behagliche Zimmer" in der Direktorenvilla des Torfmullwerks und unternahm Ausritte mit seinem Pferd.

Die Behörden wollten die billige Arbeitskraft nutzen, um das Moor zu entwässern. Aus Aufzeichnungen des Lagerkommandeurs geht hervor, dass die Russen keine Lust hatten, sich auf diese Weise ausbeuten zu lassen. Während der Kommandeur bedauerte, dass die Moorlandschaft zerstört, botanisch wertvolle Pflanzen verschwanden, Vögel und Wild vertrieben wurden, hatte er für die Gefangenen weniger übrig. Leutnant Anton Hauptmann beschreibt sie als störrisch. Sie hätten scharf überwacht und angetrieben werden müssen. Lediglich eine Gruppe von 100 Gefangenen muslimischen Glaubens, die nach wenigen Wochen in ein anderes Lager verlegt wurden, sei fleißiger gewesen.

Obendrein beschreibt Hauptmann die russischen Gefangenen als gierig und triebhaft. Immer wieder hätten sie trotz Ermahnungen Blätter und Wurzeln gegessen. Fünf Mann vergifteten sich an Wurzeln des Wasserschierlings, vier von ihnen starben daran, drei direkt beim Morgenappell. Die Ernährungslage beschreibt der Kommandant als gut, allerdings bat Hauptmann Ende August 1915 um Versetzung zu einer Landsturm-Einheit, zuvor war sein Sohn an der Front gefallen. Der Hungerwinter stand da in Deutschland noch bevor. Die Russen scheinen einen großen Chor gebildete zu haben, ihre Sangeskunst lockte Münchner und Augsburger an. Wie lange das Lager existierte, ist nicht bekannt, schreibt Drexler. Vor allem Russen konnten wegen des Bürgerkrieges bei Kriegsende nicht einfach nach Hause zurück. Um 1920 scheinen in Hattenhofen immer noch Kriegsgefangene gearbeitet zu haben.

Die Anfänge des Bevölkerungsbooms im Landkreis hat der Brucker Stadtarchivar recherchiert. 1871 lebten im damaligen Bezirksamt etwas mehr 20 000 Menschen, das entspricht heute etwa der Hälfte der Einwohnerschaft von Germering. Die meisten Orte waren kleine Dörfer mit ein paar hundert Einwohnern, nur Bruck verzeichnete mehr als tausend Menschen. Bis 1900 nahm die Einwohnerzahl um zwanzig Prozent zu. Treffen die landesweiten Daten zu, wonach um die Jahrhundertwende jede Frau im Schnitt nur mehr zwei Kinder bekam, geht dieser Zuwachs auf Zuwanderer aus Nachbarregionen zurück. Laut Neumeier zeigte die Volkszählung von 1907, dass die Hälfte der Bevölkerung nicht mehr an ihrem Geburtsort lebte, die meiste Migration aber zwischen den Gemeinden und Kreisen stattfand. Für Wachstum sorgte die Industrieansiedlung, die Diversifizierung des Handwerks sowie die Eröffnung von Bahnhöfen. Neumeier zeigt einmal mehr, dass sich aus den trockenen Zahlen der Bevölkerungsstatistik aufschlussreiche Erkenntnisse zur Regionalgeschichte gewinnen lassen.

Amperland. Heimatkundliche Vierteljahresschrift für die Kreise Dachau, Freising und Fürstenfeldbruck, Heft 2, 2017, fünf Euro. Die Hefte können im Buchhandel bestellt werden.

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