Süddeutsche Zeitung

Kottgeisering:Verspieltes Hobby

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Pascal von Engelbrechten sammelt Gesellschaftsspiele. 2611 hat der Webdesigner inzwischen in seinem Haus angehäuft. Nun wartet er auf einen Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde

Von Christian Hufnagel, Kottgeisering

Wer das Wohnzimmer im Erdgeschoss betritt, sieht gleich, um was sich in diesem Haus vieles dreht. In einer Ecke stapeln sich am Boden mehrere bunte Türme, deren Bausteine die Schachteln von Karten-, Würfel- und Brettspielen sind. 30, 40 sind es vielleicht. Aber das seien nur jene, mit denen Sohn Constantin derzeit immer wieder spielt. Dieser ist zehn und sagt, er liebe "strategisches Denken". Mögen sich die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben vermutlich nicht mit so viel Spielerei beschäftigen, ist das für Pascal von Engelbrechten nur ein verschwindend kleiner Teil.

Der Hausherr führt in den ersten Stock in sein Büro, das eigentlich kaum zu betreten ist. Dort stapeln sich wiederum bunte Schachteln, ein paar hundert dürften es sein. Hier sind jene gewissermaßen zwischengeparkt, die der 46-Jährige für Verlage testet. Einen Stock höher kann der Besucher nochmals nur durch Gänge einen großen Dachgeschossraum begehen. Um ihn herum erneut nichts als Gesellschaftsspiele, tausende sind es, das beeindruckende Ergebnis einer jahrzehntelangen Leidenschaft: Der Kottgeiseringer sammelt Gesellschaftsspiele, "exakt 2611" seien es, sagt er. Eine gewaltige Sammlung, die wohl größte in der Welt, weshalb er auch derzeit versucht, ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen zu werden.

Wie in seiner Generation noch gewöhnlich, erwachte die Lust am Gesellschaftsspiel in der Kindheit, die noch fern von Computer, Tablet, Smartphone und all den elektronischen Konsumbequemlichkeiten war. Durch die Großeltern kam der Bub zunächst zu den Karten, zu Rommé, Canasta, Skat und Doppelkopf. Mit zehn, elf Jahren entdeckte er Monopoly und "Spiel des Lebens", heute zwei Klassiker. Naturgemäß war die Pubertät von anderen Interessen geprägt, aber bereits mit 19, 20 ging es weiter. Mit "Activity" erinnert er sich an den geselligen Spaß, Begriffe auf pantomimische Weise zu veranschaulichen.

Mitte der Neunzigerjahre sei der Spielmarkt "explodiert", sagt von Engelbrechten. Die 20,30 Spiele in den Regalen der Geschäfte wuchsen auf 100 und mehr an. Diesen Punkt macht er mit dem Erscheinen von "Die Siedler von Catan" fest. Die reine "Glückslastigkeit" sei nun durch eigenes Taktieren zu beeinflussen gewesen, erklärt der verheiratete Familienvater die Entwicklung dieses Genres zu Spielformen, die Geist wie Geschicklichkeit fordern. Zu dieser Zeit hat er angefangen "gezielt" zu sammeln: "Da ist der Jäger und Sammler in mir durchgebrochen. Es ging um das Haben-Wollen."

Mit dem Internet hat sich für den selbständigen Webdesigner sein Hobby dann verändert. Zum einen ganz praktisch: Er musste nicht mehr in Spielzeugläden, sondern konnte und kann alles online bestellen. Bedeutsamer war aber die Gründung einer Plattform, die heute unter www.heimspiele.info/HP/ aufzurufen ist. Dort entstand sozusagen ein virtueller Freundeskreis, tauschen sich Gleichgesinnte aus über Neuererscheinungen und Spielerfahrungen etwa. Auf das Diskussionsforum wurden Verlage aufmerksam und baten den Kottgeiseringer, Spiele zu testen.

Wie ein Lektor ein Buchmanuskript bewertet von Engelbrechten Gesellschaftsspiele nach bestimmten Kriterien: Etwa ob sie leicht verständlich und zugänglich sind; ob sie Interesse erzeugen und auch halten können; ob sie rein vom Glück abhängen oder man selbst seines Glückes Schmid sein kann. Auf zwei bis drei Stunden am Tag taxiert der Tester seinen Zeitaufwand für diese Freizeitbeschäftigung, Sohn und Ehefrau sind da miteingebunden, sind selbst mit Feuereifer dabei. Wobei seine Partnerin lieber mal bei einem Spiel bleiben würde und nicht alle ein bis drei Tage ein neues aufgetischt bekommen wollte, erzählt von Engelbrechten: "Aber diesen Druck habe ich mir selbst auferlegt." Die Bewertung veröffentlicht er auf seinem Blog.

Das alles klingt nach einer Menge Vergnügen, aber auch nach gehörig viel Arbeit: "Alles Hobby, ich verdiene keinen Cent damit", entzaubert der Kottgeiseringer Vorstellungen, dass er sich mit diesen Gutachten buchstäblich spielerisch etwas hinzuverdienen könnte. Er ist im Grunde ein Idealist. Ihm geht es darum, durchaus selten gewordene Werte zu vermitteln. Von Engelbrechten nennt es das "Wiederfinden der Geselligkeit" und eine Form der "Familienzusammenführung", ein Entgegensteuern zu dem häufigen Verhaltensmuster, dass einer auf sein Smartphone starre, der andere mit dem Tablet beschäftigt sei und der Dritte in den Fernseher schaue.

In seiner eigenen Familie scheint ihm das gelungen zu sein. Wenngleich Constantin dann doch auch ein Bub der modernen multimedialen Zeit ist. In einer Rangfolge seiner Beschäftigungen erklärt der Zehnjährige "Handy, Tablet und Computerspiel" zur Nummer eins, gefolgt von Lego, welches sich kistenweise im Wohnzimmer findet. Erst an dritter Stelle stuft er die Gesellschaftsspiele ein.

Aber immerhin, sie spielen eine große Rolle für ihn. Noch eine größere natürlich für seinen Vater, der weitersammeln wird. Ein kleiner Ehrgeiz ist dabei, ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen zu werden. Beantragt hat er es. Seit zwei Jahren wartet er schon auf eine Antwort. Seiner Einschätzung nach müsste es klappen, denn der bisherige Rekordhalter bringe es nur auf 1560 Spiele. Das Warten findet er "lästig". Von Engelbrechten könnte es sich auch einfacher machen und einen Juror kommen lassen. Aber der würde 4500 Pfund kosten. Und das sei ihm doch zu viel Geld für sein Hobby.

Sollte er es sich noch überlegen, entdeckt der Prüfer vielleicht eine zweite rekordverdächtige Sammlung. Im Keller hat der Kottgeiseringer ein Heimkino eingerichtet. Seinen Gästen kann er eine wahrlich gigantische Auswahl anbieten - von 5034 Filmen auf DVD oder Blu-ray. Für Unterhaltung ist in diesem Haus also in jedem Fall gesorgt. Langweilig dürfte es keinem der Bewohner werden.

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Quelle:
SZ vom 02.09.2017
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