Konzert:"Vexations" und kein Ende

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Musikalische Nacht glückt als herausragende Großveranstaltung des Puchheimer Kulturzentrums. Ensembles aus der Stadt thematisieren Erik Saties skurrile Komposition - 20 Stunden lang

Von Klaus Mohr, Puchheim

Dass Komponisten bisweilen kuriose Eigenschaften haben und eher seltsame Gewohnheiten pflegen, ist weithin bekannt. Die kurioseste Erscheinung von allen ist wahrscheinlich Erik Satie. Seine Skurrilität geht so weit, dass er scheinbar unverrückbare Bestandteile von Musik zur Disposition stellt und diese dann mit neuen Bedeutungen auflädt. Sein kurzes Stück "Vexations", zu deutsch "Quälereien", 1893 entstanden und erst 1963 erstmals aufgeführt, klingt beruhigend bis meditativ. Allein der Hinweis des Komponisten, das Stück 840 Mal in Folge zu spielen, kann es zur "Quälerei" machen. Diese Idee, allerdings ganz ohne Quälerei, hat man im Puchheimer Kulturzentrum Puc vor 18 Jahren realisiert. Damals wurde das Stück kontinuierlich, aber mit immer wieder anderen Besetzungen gespielt. Die Spieldauer erreichte damals fast einen ganzen Tag. Das Projekt galt als ehrgeizig und in dieser Form singulär.

Beim Konzertmarathon zu Erik Saties Komposition "Vexations" im Puchheimer Kulturzentrum dabei ist unter anderem die Salonband "Ilse". (Foto: Günther Reger)

Anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Puc hat man diese Idee jetzt unter Federführung des Kulturamtsleiters Michael Kaller nicht wiederholt, sondern weiterentwickelt: Das Stück "Vexations" wurde zum Ausgangspunkt für kreative Ideen und bezog alle musikalischen Gruppierungen aus Puchheim ein. Die Musikschule Puchheim erwies sich dabei als variabler Motor für die Zusammenarbeit. Unter dem Motto "20 Stunden Performance und Konzert" wurden aus den "Vexations" zahlreiche "Flexations" in jeder nur vorstellbaren Art. Um den Spannungsbogen der Musik nicht abreißen zu lassen, wurde die große Zeitspanne in Intervalle von zwanzig Minuten Dauer unterteilt, in manchen Zeitfenstern auch doppelt so viel. Statt der einen Bühne im Béla-Bartók-Saal gab es noch zwei weitere, nämlich eine am entgegengesetzten Saalende und eine auf der Empore. Auf diese Weise konnten die Aktionsräume abwechselnd bespielt werden, die Zuschauer mussten nur ihren Stuhl umdrehen, um den nahtlosen Übergang einer Phase in die nächste zu erleben.

Das Celloensemble der Musikschule. Zwischen 500 und 600 Zuhörer besuchen das Puc in den 20 Stunden insgesamt. (Foto: Günther Reger)

Wenn Lutz Landwehr von Pragenau mit seinen Schülern Klaviermusik von Satie und seinen Zeitgenossen ("Friends of Erik") musizierte, dann hatte er einen rein musikbezogenen Zugang gefunden, den er mit einer lebensvollen Schilderung der Wohnsituation Saties untermauerte. Der Auftritt von "Ilse", einer Salonband, nahm die Musik Saties zum Ausgangspunkt für einen humorvollen Streifzug durch musikalische Stile. Die fahle Klanglichkeit in Saties "Vexations" brachte das Puchheimer Jugendkammerorchester unter seinem Leiter Peter Michielsen vielleicht am eindrucksvollsten zum Ausdruck, um dann in ein vielfältiges Kontrastprogramm von Barock über Dvořák bis Aydin Pfeiffer zu starten. Auf diese Weise blieb die Vielfalt die bestimmende Größe dieses Abends.

Auch Eva Pfaller am Piano hat ihren Platz bei Konzertmarathon. (Foto: Günther Reger)

Das Konzept der Veranstaltung war darauf angelegt, Kultur von den Bürgern der Stadt für die Bürger der Stadt auf die Beine zu stellen. Dieser Anspruch konnte voll und ganz umgesetzt werden: Auf den Bühnen saßen Musiker in jedem Lebensalter, und die Spanne bei den Zuhörern reichte von Eltern mit ihren Kindern im Kinderwagen bis zu älteren Menschen, die sich mit Rollator und Rollstuhl auf den Weg ins Puc gemacht hatten. Das niederschwellige Format ermöglichte ein kurzes Hineinschnuppern ebenso wie ein stundenlanges Verweilen. Die zum Gastbereich hin geöffnete Wand strahlte Großzügigkeit aus, und trotz des Geräuschpegels und der produktiven Unruhe in dieser "Wandelhalle" konnte sich doch eine konzentrierte Atmosphäre für das musikalische Erleben einstellen. Die Verantwortlichen im Puc rechnen damit, dass 500 bis 600 Zuhörer im Verlauf des Tages und der Nacht ins Puc kamen. Sogar mitten in der Nacht gab es noch etwa zehn Unentwegte, die sich bei einem Bier auf die kreative Begegnung einließen. Für die müden Besucher hatte man ein paar Feldbetten aufgestellt, an deren Benützung Michael Kaller nur die Bedingung knüpfte, dass man dann auch im Takt der Musik schnarchen müsse. Glückliche Gesichter gab es in diesen Tagen viele, nicht nur die der vielen Musiker und der Zuhörer, sondern auch bei den Planern rund um Michael Kaller.

© SZ vom 28.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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