Süddeutsche Zeitung

Konzert:Kleinstadt-Woodstock

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Dass Open-Air-Festival des Vereins Subkultur vereint wieder vieles: Fürstenfeldbrucker, die für ein Wochenende heimkehren; Musikstile, die ewig jung bleiben. Und so werden die beiden Konzerttage zu einer höchst entspannten Angelegenheit

Von Valentina Finger, Fürstenfeldbruck

Franz-Xaver, Katrin und Bene sitzen vor ihren Zelten und essen Pizza aus dem Karton. Seit vier Jahren campen die Freunde ein Wochenende pro Sommer auf dem Parkplatz des Alten Schlachthofs - und zwar immer dann, wenn der Verein Subkultur, so wie am vergangenen Wochenende, sein zweitägiges Open Air veranstaltet. Bis vor ein paar Jahren haben die Drei in Fürstenfeldbruck gewohnt. Für das Festival kommen sie weiterhin gerne in ihre Heimatstadt zurück. "Dass man hier so viele Leute kennt, macht einen großen Teil des Charmes aus", sagt Franz Xaver.

Dass das Open-Air-Festival, auf dem am Freitag und Samstag elf Bands aus der Region, aber auch aus Berlin oder Wien auftraten und zu dem jährlich bis zu 1000 Musikfans kommen, ein wahres Fest der Liebe ist, bekommt man von vielen Besuchern zu hören. Was die Stammgäste so von ihrer liebsten vorurteilsfreien Jeder-mag-jeden-Veranstaltung erzählen, klingt fast nach der schönen, aber utopischen Welt, die die Hippies vor 50 Jahren imaginierten. Der 32-jährige Patrick Meier kommt seit Teenager-Zeiten zum Open Air. Dort trifft er Freunde, die, wie er, mittlerweile weggezogen sind: "Was auch passiert, man fährt zwei Mal im Jahr nach Fürstenfeldbruck: an Weihnachten zur Familie und zur Subkultur, zur zweiten Familie."

Schnell ist klar, dass das nicht bloß Gerede ist. Wenn man in der Umgebung aufgewachsen ist, kann man quasi sicher sein, dass man an diesem Wochenende alte Bekannte trifft, die man sonst nie treffen würde, ob das nun der einstige Mitschüler ist, mit dem man Abitur gemacht hat, oder der kleine Bruder der damals besten Freundin, der mittlerweile gar nicht mehr klein, sondern drei Köpfe größer ist als man selbst.

Willkommen zu sein, scheint jeder, keiner wird schief angeschaut, egal ob man in knallpinken Aerobicshorts, im Tennisrock oder in Tracht auftaucht, ob man Glitzer, Vollbart oder, wie unter den jungen Leuten wieder zahlreich zu beobachten, Schnauzer trägt. Während die Sängerin Katha von der Punk-Band Die Prokrastination ans Mikrofon tritt, flechten sich zwei junge Frauen gegenseitig Zöpfe. Eine andere Gruppe liegt ausgestreckt im Bällebad, wieder andere in den Hängematten. Das Festival ist eine bunt-alternative Mischung aus Campingplatz und Kleinstadt-Woodstock, mit lila Feuerzeugen als Becherpfand und einer armlosen Schaufensterpuppe als Galionsfigur des Bar-Schiffs "Pfefferminza".

Zum dritten Mal ist das Schiff, wo man unter anderem als Mutprobe einen starken Pfefferschnaps kippen kann, während ein anderer einem die Haare mit einem Kaltwachsstreifen abzieht, der Mittelpunkt eines kleinen Festivals im Festival. Dahinter sind eine kleine Tanzfläche und Bühne aufgebaut, wo zwischen den Hauptkonzerten ein Parallelprogramm aus zum Beispiel Silent Disco oder Bingo stattfindet.

Betrieben wird dieser Bereich von Max Brück, Raphael Knipping und Philip Hutter. Oft waren die Drei auf großen Musikfestivals und ärgerten sich stets, dass dort alles so durchgeplant wirkte. So entstand die Idee, ein kleines und gerne chaotisches Kontrafestival zu gestalten. "Es geht uns darum, trashig zu sein", sagt Brück, der auf dem Open Air seinen 26. Geburtstag feiert. "Erst wenn die Leute genug getrunken haben, verstehen sie, was wir machen."

Am Freitagabend wird der feucht-fröhliche Spaß von Nässe unterbrochen: Wegen einer Unwetterwarnung muss das Gelände für zwei Stunden geräumt werden. Die Gemeinschaft löst jedoch auch dieser Zwischenfall nicht auf: "Fast niemand ist nach Hause gefahren, alle haben gewartet, bis es weitergeht", erinnert sich Franz-Xaver.

Als würden die Festivalbesucher für ihre Treue belohnt werden, gibt es am Samstag dann wider Erwarten Sonne pur. Sommerliche Gefühle sind wieder angesagt, als die Münchner Band Chris Mayer and The Rockets ihren Indie-Rock spielt. Eine Songzeile lautet "You're the one I'm gonna miss" - du bist derjenige, den ich vermissen werde. Gewiss entspricht das auch den Gefühlen vieler Stammgäste, die ihre Subkultur-Freunde erst wieder zum zweiten Pflichttermin an Weihnachten sehen werden.

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Quelle:
SZ vom 30.07.2019
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