Jeder Musikfreund oder Tanzinteressierte hat eine Vorstellung davon, was ein Tango ist. Beim Konzert der Fürstenfelder Konzertreihe am Samstag wurden solche Assoziationen bestätigt, oder besser ausgedrückt, sie wurden deutlich erweitert. "Cuarteto SolTango" nennt sich das Ensemble aus Thomas Reif (Violine), Andreas Rokseth (Bandoneón), Karel Bredenhorst (Violoncello) und Martin Klett (Klavier), das im Stadtsaal gastierte. Welchen Reichtum und welche Abwechslung sich in der Musik verbarg, zeigten die Musiker auch durch ihre Kleidung: Sie kombinierten zum Beispiel schwarze Lackschuhe mit einem lässigen Sakko oder arrangierten beige Hosenträger mit einer kleinen hölzernen Fliege, alles in sehr gedeckten Farben. Damit brachten sie optisch zum Ausdruck, was auch ihre Musik abseits traditioneller Konventionen vermittelte. Farbigkeit, Schwung und impulsives Musizieren gehörten auf alle Fälle zu den unverzichtbaren Elementen an diesem Abend.
Die Musik, die Cuarteto SolTango spielt, ist nicht für diese Besetzung geschrieben, sondern von der Gruppe adaptiert, vom Pianisten Martin Klett quasi zurechtgeschrieben. Ziel ist es, Arrangements mit dem Klang der charakteristischen Tangoorchester aus der Goldenen Ära des Tango in Argentinien in den 1930er- und 1940er-Jahren einzufangen. Die Urwüchsigkeit dieser Musik fasziniert insbesondere durch die verschiedenen Instrumente: Die Geige singt, das Cello spielt mal den Bass und dialogisiert ein anderes Mal mit der Geige, das Bandoneón gibt dem Klang eine unverwechselbar melancholische Note und das Klavier ist zugleich Schlaginstrument und wunderbarer Klangfüller. Dabei ist der ganze Klang "unplugged", es kommt also keinerlei Verstärkung hinzu. Da verwundert es nicht, dass die Noten nur eine ungefähre Orientierungshilfe sind: Wichtiger ist der momentane Ausdruck, der aus dem Zusammenspiel entsteht und die einzelnen Musiker für den Hörer fesselnd beflügelt.
Das erste Stück von Aníbal Troilos versetzte die Hörer gleich in eine Art Salon: Die sehnsüchtigen Terzparallelen der Streicher, der wehmütige Klang des Bandoneons und die knackigen Rhythmen, die, angeführt vom Klavier, wie eine unsichtbare Stechuhr wirkten, ließen manchen Fuß mitwippen. Interessant aber wurde es immer dann, wenn sich einzelne Töne zu sanften Dissonanzen verdichteten und sich anschließend wie beim Ausatmen wieder entspannten. Diesen Phasen des Spannungsspiels standen Abschnitte mit einem "Nulltonus" gegenüber, in denen "leere" Töne des Bandoneóns mit einer perlenden Klavierbegleitung umgarnt waren. In einem späteren Stück wurde der Gegensatz von kurz angetippten und ineinander gezogenen Tönen zum wesentlichen Merkmal. Dabei kam den klangvoll-beseelten Lagenwechseln insbesondere des Geigers große Bedeutung zu. Und wenn es musikalisch notwendig war, gesellten sich wie selbstverständlich auch einfühlsame Tempomodifikationen mit dazu.
Vor der Pause gab es einen Tango Nuevo des Tango-Königs Astor Piazzolla, dem einzigen Komponisten, der dem Publikum wohl geläufig war. So raffiniert hier wundersame Klänge wie in einer Mixtur auseinander hervorgingen und so brillant die schwebende Klanglichkeit ausbalanciert war - die Hörer wussten den unmittelbaren Charme der Stücke des Tango Argentino am Ende umso mehr zu schätzen. Am Schluss gab es lang anhaltenden und begeisterten Beifall für einen in jeder Hinsicht besonderen Abend. Vielleicht kann man nun besser verstehen, warum der Tango 2009 in das immaterielle Kulturerbe der Menschheit der Unesco aufgenommen wurde.