Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl in Fürstenfeldbruck:Der Kandidat und sein forderndes Publikum

Lesezeit: 3 min

Christoph Maier will für die SPD Landrat werden und setzt Klimaschutz ganz oben auf sein Wahlprogramm. Bei einer Diskussion sparen Zuhörer nicht mit Kritik

Von MariSa Gierlinger, Fürstenfeldbruck

Die Schüler gehen auf die Straße, Städte und Kommunen rufen den Klimanotstand aus, der Ruf nach Alternativen zu fossilen Brennstoffen wird selbst im Autoland Deutschland lauter. Was längst in aller Munde ist, ist auch im Landkreis Fürstenfeldbruck angekommen, auch bei der SPD-Kreistagsfraktion. "Den Planeten retten" heißt das Thema, mit dem sie zum Klima-Fachgespräch ins Brucker Unterhaus einladen.

SPD-Landratskandidat Christoph Maier führt durch den Abend und moderiert das Fachgespräch mit dem Klimaexperten Michael Ritzau, der unter anderem als Berater für die Kohleausstiegskommision tätig ist. Maier bezeichnet Klimaschutz als eines seiner ganz großen Themen im Wahlkampf. 900 Millionen Tonnen CO₂ dürfe man maximal bis 2050 verbrauchen, bei einem Ausstoß wie bisher sei dieses "Klimabudget" aber schon 2030 erreicht, stellt Ritzau fest. Zu einem ganzen Drittel seien Kraftwerke für die Emissionen verantwortlich, 50 Prozent davon durch Braunkohle. Ein ambitionierter und schneller Ausstieg ist daher für den Experten unabdingbar - allerspätestens bis 2038, wie er sagt.

"Das weiß man doch alles schon seit 20 Jahren!", platzt es aus Zuhörerin Heidemarie Santner heraus. Der Ausstieg sei zu lange versäumt worden, insbesondere die SPD hätte weiter ihr Klientel bedienen wollen. Das Ehepaar Santner gehört zum älteren Drittel der etwa 50 anwesenden Gäste. Für sie ist der Klimawandel ein wichtiges Thema. Deshalb orientieren sie sich jetzt auch politisch neu. "Eigentlich waren wir ja immer FDP-Wähler. Aber jetzt schauen wir mal, ob die SPD in die Pötte kommt", sagte Heidemarie Santner vor Beginn der Veranstaltung. Ihr Mann Franz pflichtet ihr bei, die Verbrennung fossiler Energien sei bisher seitens der SPD zwiespältig gewesen, mit der Rechtfertigung, um Arbeitsplätze zu ringen. Zulange hätten sich die Sozialdemokraten selbst gelähmt, die Zeichen der Zeit nicht erkannt, finden die Santners. An diesem Abend wollen sie der SPD eine Chance geben.

Ritzau ist mittlerweile zu erneuerbaren Energien und ihren Weichenstellungen übergegangen. Der Ausbau von Windenergie und Photovoltaik müsse weiter zunehmen, so seine Forderung. Wachstumsbremsen seien teilweise hausgemacht und die Ausbauzahlen lassen seiner Meinung nach zu wünschen übrig. Zudem müssen auch die Versorgungsnetze ausgebaut werden; im Norden etwa werde mehr Strom erzeugt als verbraucht. Ein Problem, das sich also auf die Transportkapazitäten ausweitet. Eine höhere Auslastung des vorhandenen Netzes durch intelligentere Netzsteuerung wird auch angesprochen. Auch weitere Alternativen werden durchgegangen, und sei es nur in der Theorie. Es ist ein forderndes Publikum, und ein allem Anschein nach sehr informiertes. Entsprechend fallen die Fragen aus. Es wird nach der alternative Erdgasauto gefragt, nach Sektorkopplung und Negativspeicherung von CO₂ im Untergrund - Fragen, deren Beantwortung selbst die Kompetenz des Experten teilweise überschreiten würde, wie er selbst eingesteht.

Der Experte bleibt hartnäckig unpolitisch, so sehr Maier das mit seinen Fragen auch manchmal herauszufordern sucht. Wie Ritzau zu Verboten stehe, interessiert ihn. Oder zu CO₂-"Bepreisung" (um nicht das böse Wort Steuern zu verwenden). Dieser spricht sich ebenfalls gegen eine "Steuer" und für Abgaben gemäß der Emissionsintensität aus. Und das für alle Sektoren. Verbote findet er hingegen schwierig - es gelte stattdessen, starke ökologische Anreize zu setzen und Überzeugungsarbeit zu leisten.

Im Anschluss soll an fünf Thementischen auf lokaler Ebene diskutiert werden. Auf den Tischen liegen verschiedenfarbige Stifte, Plakate und bunte Papierkreise zum Beschriften. Sie sind unterteilt in erneuerbare Energien, Plastikmüll, öffentlichen Nahverkehr und Gebäudesanierung. Je nach Thema können sich die Gäste zwischen den Tischen bewegen, mit anderen diskutieren und ihre Meinung auf den Plakaten festhalten. Die Aktion findet großen Anklang, und binnen weniger Minuten nach Ende des Vortrags füllt sich der Raum mit Stimmengewirr und zwischen den Tischen migrierenden Menschen. Auch wenn viele hier sich selbst zu den Reihen der SPD zählen, merkt man schnell, dass es sich um keine "Filterblasen" handelt, in der man der immerselben Meinung ausgesetzt ist. Vor allem am MVV-Thementisch wird erhitzt diskutiert. Den Forderungen nach einem vergünstigten Jahresticket hält ein Mann entgegen, die S-Bahn sei jetzt schon total überlaufen und animiere so erst recht dazu, auf das Auto umzusteigen. Seine Freundin habe sich aus ebenjenem Grund erst kürzlich eines gekauft.

Am "Plastikmülltisch"sitzt auch Bianca Aßmus, die die Jusos im Stadtjugendrat vertritt. Mit dem, was ihre Partei bisher für das Thema geleistet hat, ist auch sie noch nicht ganz zufrieden. "Es ist zu wenig. Aber wir sind auf einem guten Weg." Für ihre Familie seien die Themen Klima- und Umweltschutz immer schon von großer Bedeutung gewesen Bio-Produkte, Mülltrennung und wenn Möglich der Verzicht auf Flugurlaube seien für sie selbstverständlich.

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Quelle:
SZ vom 28.08.2019
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