Kommentar:Mehr Vernunft und Anstand wagen

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Die unsachlichen und beleidigenden Reaktionen auf den Vorschlag eines Afrika-Solis durch Landrat Thomas Karmasin zeigen, was vor allem in den sogenannten sozialen Medien der politischen Debatte fehlt

Von Heike A. Batzer

Was ist passiert? Landrat Thomas Karmasin hat ein längeres Interview gegeben und dabei den Vorschlag gemacht, einen "Afrika-Soli" einzuführen, also den Solidaritätszuschlag, der seit den Neunzigerjahren zur Finanzierung des Aufbaus Ost herangezogen wird, zumindest in Teilen beizubehalten und für Hilfe in Afrika zu verwenden. Daraufhin erreichte ihn Post mit reichlich unhöflichem Inhalt, und auch das Internet wurde schnell auf den Landrat aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck aufmerksam und zeigte die übliche Erregung. Dabei hatte er lediglich einen Vorschlag gemacht zur politischen Problemlösung in Zeiten globaler Zusammenhänge.

Doch die Mühe, darüber nachzudenken, das Thema einzuordnen, Für und Wider zu erwägen, machen sich viele nicht mehr. In den Zuschriften, die Karmasin erhielt, fehlten seinen Aussagen zufolge zumeist Begründungen für die Haltung der jeweiligen Verfasser. Stattdessen seien "pauschale Verunglimpfungen deutscher Politiker" zu lesen gewesen, aber auch "eine erschreckende Respektlosigkeit, mit der - auf elektronischem Wege - das Gegenüber behandelt wird", wie Karmasin mitteilte. Andere wiesen auf die Vergeblichkeit bisheriger Entwicklungshilfe hin. In vielen Zuschriften wurde kritisiert, dass mit seinen Äußerungen weitere Menschen in die Arme der AfD getrieben würden. Einige wenige hätten die Notwendigkeit von Entwicklungshilfe grundsätzlich anerkannt, störten sich aber zum Beispiel an dem Begriff "Soli".

Man muss die Idee vom "Afrika-Soli" nicht teilen. Man kann, wie für fast jede Idee und jeden Lösungsvorschlag Argumente und Gegenargumente finden. Und darum geht es in einer Demokratie. Lösungsansätze umfassend zu diskutieren und einen für möglichst viele tragbaren Kompromiss zustandezubringen. Das vorschnelle Zunichtemachen von Vorschlägen oder Argumenten, das bösartige Verunglimpfen, das vorsätzliche Beleidigen ist das Gegenteil demokratischer Diskussionskultur. Es ist ein Sittenverfall, dem die Anonymität des Internets und die Echtzeitbewertungen in sozialen Medien Vorschub leisten. Es ist deshalb dringend an der Zeit, zum vernünftigen Gespräch zurückzukehren und wieder Anstand walten zu lassen.

© SZ vom 12.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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