Kommentar:Chancenlos mit Nerds und Trollen

Der OB-Wahlkampf zeigt, dass der digitale Weg nicht zwangsläufig der Königsweg ist

Von Peter Bierl

Was wäre der Mensch ohne Medien? Die artikulierte Sprache bestimmt unser Sein, die Erfindung der Schrift war eine Revolution, die Reformation hätte sich ohne Buchdruck nicht so schnell ausgebreitet, einer fortschrittlich gestimmten Bourgeoisie diente die Zeitung als Plattform, die Nationalsozialisten nutzten das Radio weidlich. Das Internet ist insofern kein Qualitätssprung, sondern steigert die Reichweite, der Gesellschaftskritiker wie der Autoritäre kann seine Botschaft schneller und billiger verbreiten als je zuvor. Der arabische Frühling war aber mitnichten eine Facebook-Revolution, auf den Straßen prügelten sich die Ägypter mit den Schergen des Regimes. Wenn sich Grundlegendes ändern soll, müssen Menschen im wirklichen Leben zusammenkommen und handeln.

Die Erfahrung macht in der Provinz gerade der Brucker OB-Kandidat Thomas Lutzeier. Als parteiloser Bewerber muss er mindestens 215 Unterschriften sammeln, damit er antreten darf. Lutzeier galt als Favorit unter den drei Unabhängigen, weil er schon mal im Stadtrat saß, weiter in der Kommunalpolitik mitmischt und gut vernetzt ist. Er leitet einen regen Debattierklub auf Facebook, wo die Idee zu seiner Kandidatur aufkam. Jetzt aber ist er Schlusslicht im Bewerberfeld, ob er die Hürde am Montag noch nimmt, scheint zweifelhaft.

Das Dilemma zeigte sich schon bei seiner Nominierung, die von gerade einmal 15 Bürgern vorgenommen wurde. Der glorreiche Auftakt für einen Siegeslauf sieht anders aus. Möglicherweise ist Lutzeiers Vorgeschichte, die von allerlei Streitereien und Positionswechseln von den Grünen zu den Freien Wählern begleitet war, eher ein Handicap. Auf Facebook äußerte sich Lutzeier zur Debatte um Nazi-Straßennamen in einer Weise, die eher dem rechten Zeitgeist entspricht. Weder davon noch von der Anti-Establishment-Attitude scheint Lutzeier nun zu profitieren. Möglicherweise scheitert er, weil es Internet-Trollen und Nerds zu anstrengend ist, am hellen Licht des Tages in ein Rathaus zu gehen und auch noch Stift und Papier zu benutzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: