Fürstenfeldbruck:Beinahe ausradiert

Fürstenfeldbruck: Auf Tafeln sind Werke Kirszenbaums gedruckt, Infotexte setzen sie in den zeitgeschichtlichen Kontext.

Auf Tafeln sind Werke Kirszenbaums gedruckt, Infotexte setzen sie in den zeitgeschichtlichen Kontext.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Jecheskiel David Kirszenbaums Karikaturen zeugen vom Aufstieg und Fall der Weimarer Republik. Eine Ausstellung zeigt seine Werke dokumentiert, warum die Nazis sie unbedingt vernichten wollten.

Von Carim Soliman, Gröbenzell

Der erste parlamentarisch-demokratische Versuch der Deutschen ist eine tragische Geschichte. Die Weimarer Republik fügte sich 1919 aus den Scherben des im Ersten Weltkrieg zerschlagenen Kaiserreichs zusammen. Es entstand ein Mosaik aus unzähligen politischen Ideen, kultureller Avantgarde, gesellschaftlichem wie technischem Fortschritt. Hell schimmerte es durch die goldenen Zwanziger, eine Zeit der hedonistischen Exzesse. Nichts schien dem Aufschwung ein Ende bereiten zu können - bis der Crash an der New Yorker Börse ihm ein Ende bereitete. Die anschließende Weltwirtschaftskrise und die politische Zersplitterung nutzen die Nazis aus, um der Weimarer Republik wenige Jahre später den Rest zu geben. Mit Hitlers Machtergreifung wurde aus ihr 1933 der NS-Staat.

Seit Montag lässt sich diese tragische Geschichte in einer Ausstellung der Volkshochschule Gröbenzell anhand der Arbeit eines ganz besonderen Künstlers nachempfinden. Insofern besonders, weil Jecheskiel David Kirszenbaum ein stilistischer Tausendsassa war. Er malte im Laufe seines Schaffens impressionistisch oder expressionistisch, zwischendurch russisch-volkstümlich oder kubistisch, am Ende gar abstrakt. In anderer Hinsicht ist der jüdische Künstler Kirszenbaum leider gar nicht außergewöhnlich: "Die Nazis haben alles getan, um die Erinnerung an ihn und andere Künstler, die nicht ihrer Ideologie entsprachen, auszulöschen", sagt Kunsthistoriker Stefan Müller bei seinem Vortrag zur Ausstellungseröffnung. "Es wäre ihnen beinahe gelungen."

Der Großneffe entdeckt den Künstler wieder

Dass es anders kam, ist seinem Großneffen Nathan Diamant zu verdanken. Als 1996 seine Tante und seine Mutter starben, vererbten sie ihm Kirszenbaums Nachlass. Der Beginn einer 15 Jahre dauernden Suche nach allen noch erhaltenen Werken seines Großonkels. Die wenigen Gemälde, die den Naziterror überlebten, sind nämlich über viele Sammlungen auf der ganzen Welt verstreut. Deshalb zeigt die Ausstellung in Gröbenzell keine Malerei, Kirszenbaums eigentliche Leidenschaft, sondern Karikaturen, mit denen er sich in seinen Berliner Jahren über Wasser hielt.

Kirszenbaum kam 1900 im polnischen Staszów zur Welt, das damals zum russischen Zarenreich gehörte. Viele der Erinnerungen an seine Jugend in der jüdischen Gemeinde finden sich später in seinen Werken wieder. Als junger Mann entdeckt er die Kunst, aber ein Studium bleibt ihm verwehrt, weil es ihm an Schulbildung und Geld mangelt. 1920 flieht er vor dem Polnisch-Sowjetischen Krieg in die Deutsche Republik. Im Ruhrgebiet verdingt er sich als Bergmann, bis ein Kunsthistoriker sein Talent als Maler entdeckt. Er fördert ihn und hilft ihm, 1923 einen Studienplatz am Bauhaus zu finden. Doch nach einer Kürzung staatlicher Gelder muss er die berühmte Kunstschule verlassen. Er zieht nach Berlin, wo er bleibt, bis er 1933 vor den Nazis nach Frankreich fliehen muss.

Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zeichnet Kirszenbaum in Berlin Karikaturen für unterschiedliche Polit- und Kunstzeitschriften, aber auch für das Satireblatt Ulk. Sie geben Einblick, was die Menschen der Weimarer Republik bewegt hat - vor allem, worüber sie stritten. Die Ausstellung im Gröbenzeller Bürgerhaus führt chronologisch durch Kirszenbaums Schaffen. Auf den Tafeln in der Gröbenzeller Schau sind thematisch verwandte Werke abgebildet, dazu ein kurzer Text, der sie historisch einordnet.

Karikaturen zur Kunstszene, zu Chauvinismus und Nazis

Frühere Karikaturen widmen sich vor allem dem Kunst- und Kulturbetrieb. Gerne nimmt er bürgerliche "Kunstenthusiasten" aufs Korn. Später zeichnet er gesellschaftskritischer, zum Beispiel gegen konservative Geschlechterrollen. Viele Männer störten sich an der zunehmenden Unabhängigkeit der "neuen Frau" der Zwanziger. "Bin ich Ihnen so wichtig, meine Dame, dass Sie mich vergrößern wollen", empört sich beispielsweise ein Herr in einer der Zeichnungen über eine Frau, die ein Monokel trägt - Männersache.

Früh erkennt Kirszenbaum die Gefahr durch die Nationalsozialisten und den Rechtsruck im Land. Immer wieder spottet er über Nazis aus der zweiten Reihe, zum Beispiel die antisemitischen Dampfreden von Gottfried Feder. Die heimliche deutsche Aufrüstung kommentiert er 1932 mit der Zeichnung eines dicken Industriellen, der als "Zeitgemäße Gebrauchsgegenstände", Granaten und Geschosse, aus einer Kiste verkauft. Darunter der Schriftzug: "Die einzige Branche, in der das Geschäft noch flutscht ... !"

Es ist nicht die einzige Karikatur von Jecheskiel David Kirszenbaum, die in einer heutigen Zeitung erschreckend unauffällig wäre. Konsum, soziale Ungleichheit, Sexismus, Rechtsruck, Krieg - wer von der Bundesrepublik aus das Mosaik der Weimarer Republik betrachtet, schaut auch in einen Spiegel. Seine Teile werfen kein exaktes Abbild zurück. Aber exakt genug, um zu Denken zu geben.

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