Kirche:Eine Frage des Glaubens

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Albert Bauernfeind hat sich für seine offenen Worte immer wieder den Unmut der Kirche zugezogen. Das hat der Brucker Pfarrer ausgehalten. Viel schmerzlicher für ihn ist, dass er wegen seiner schweren Krankheit nie mehr an Weihnachten in der Klosterkirche predigen kann

Von Stefan Salger, Fürstenfeldbruck

Die Geburt Christi ist Grund zur Freude - das Weihnachtsfest vor allem für Familien ein Lichtblick am Ende des Jahres. Für den langjährigen Kreisdekan Albert Bauernfeind aber ist es eine schwere Zeit. Der 64-Jährige kann nicht auf der Kanzel stehen in der an diesen Tagen immer voll besetzten Klosterkirche. Nach einer zweiten Herzoperation binnen eines Jahres hat sich sein Zustand verschlechtert - die Woche vor Heiligabend befand er sich auf der Intensivstation. Nach allem was man hört, geht es ihm nicht gut. In dem Gespräch, das die SZ mit ihm führt, bevor er sich wegen einer erweiterten Aorta in die Hände der Mediziner begibt, wirkt Bauernfeind sehr gefasst. Zwar zeichnen sich da noch keine Komplikationen ab, dennoch zieht der beliebte Stadtpfarrer so etwas wie eine Bilanz. Er reflektiert übers Große und Ganze und weicht auch Fragen über den Tod nicht aus.

Albert Bauernfeind geht über die Amperbrücke. (Foto: Günther Reger)

Es ist ein nasskalter Tag Ende November. Im Pfarrhaus an der Brucker Kirchstraße führt der Leiter des Pfarrverbands den Besucher am Ölgemälde vorbei, das Maria und das Jesuskind zeigt, in den kleinen Besprechungsraum. Hinter ihm sind an der Wand Bibeln aufgestapelt. Der Pfarrer trägt einen schwarzen Pullover und einen silbergrauen Dreitagebart, so wie man das von ihm kennt. Dass die Herz-OP Spuren hinterlassen hat, will er gar nicht verbergen. "Mir fehlt die Kraft, und die Kraft braucht man für diesen Job", sagt er. Seitdem ihm ein Tumor aus der Herzkammer entfernt worden ist, wirkt er schmaler und spricht leiser als früher. Und dennoch: Bisweilen blitzt hinter den Brillengläsern der Schalk durch. Und leisere Töne können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bauernfeind sich treu bleibt: Er bleibt unbeugsam - und jenseits aller Herzlichkeit und Versöhnlichkeit auch klar in der Kritik an "seiner" katholischen Kirche, die ihm Familie und Heimat geworden ist und doch manchmal so schrecklich unbeweglich ist, wenn es um Ökumene, Zölibat, Umgang mit Geschiedenen oder unbürokratische Hilfe für Flüchtlinge geht.

Ach, die Würdenträger. Da war Papst Johannes Paul II., da war der stockkonservative Kardinal Ratzinger, der spätere Benedikt XVI. Und da ist Friedrich Kardinal Wetter. Am deutlichsten wird die Kluft zu ihnen, wenn Bauernfeind den Brückenbauer lobt, der so anders ist: Erzbischof Reinhard Marx, gerade bei der Ökumene ein Bruder im Geiste. "Mit ihm hat das Gestalten des pastoralen Lebens Spaß gemacht!" Statt Verboten die Botschaft "Ja, machen Sie nur." Unvergessen, wie Marx und der gleichaltrige Bauernfeind vor sieben Jahren Schulter an Schulter, ganz leger mit Wanderhut und Turnschuhen, von Eichenau zur Klosterkirche wanderten. Da hatte man das Gefühl: Die verstehen sich, da passt kein Blatt zwischen den hohen Kleriker und den in Kirchenkreisen berühmt-berüchtigten Revoluzzer, der sich für seine Kritik am Umgang mit den Missbrauchsfällen den Unmut der Kurie zuzieht. Marx nahm Bauernfeind deshalb einmal beiseite und warnte ihn: "Seien Sie vorsichtig!" Mit Kardinal Wetter gab es da längst keine Gesprächsbasis mehr.

Albert Bauernfeind spricht mit Kardinal Reinhard Marx. (Foto: Johannes Simon)

1985 hat er als Kaplan in Gilching begonnen und sich bestätigt gefühlt in seiner Berufswahl. Es folgen zwei eher mühselige Jahre in Moosach, gefolgt von "fünf wunderbaren Jahren" als Münchner Stadtjugendpfarrer sowie Präses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend. Als er 1995 offen die prüde Einstellung der Kirche zur Sexualität kritisiert, fällt er bei Wetter in Ungnade und wird zum Hilfspfarrer degradiert. Albert Bauernfeind steht vor dem Nichts und arbeitet sich doch wieder hoch, unterstützt vor allem von den Gläubigen in den Pfarreien, so wie von 1996 bis 2010 in Eichenau und anschließend in Fürstenfeld. Muss er Wetter nicht hassen? "Nein", sagt Bauernfeind, "Hass ist das nicht, es ist eher eine große Traurigkeit, dass er kein Vertrauen in mich hatte." Vor zwei Jahren bei einem Empfang im Kloster Karmel Heilig Blut in Dachau hätte es die Gelegenheit zur Versöhnung gegeben. Wetter begrüßt Schwester Irmingard. Bauernfeind, der neben der Priorin steht, übersieht er geflissentlich.

Albert Bauernfeind ist ein Pfarrer mit Rückgrat und Humor. (Foto: Johannes Simon)

Die Endlichkeit des Lebens wird Bauernfeind schon sehr früh vor Augen geführt: Mit 27 Jahren ist seine leibliche Mutter gestorben, die ältere der beiden Schwestern, mit denen er in Windischeschenbach aufgewachsen ist, wird 1979 tot im Bett liegend aufgefunden. Da ist er nach der Lehre als Großhandelskaufmann und dem nachgeholten Abitur im ersten Semester des Theologiestudiums. "So etwas verändert einen schon", räumt Bauernfeind ein. Aber der Tod ist für ihn kein Schreckgespenst. Wenn man gehen muss, dann ist das eben so.

Dass er vor einem Jahr ausgerechnet an Weihnachten nicht in seiner Pfarrei sein kann, das schmerzt. Kein Heiliger Abend mit sechs Gottesdiensten vor 5000 Gläubigen, keine Feiertage inmitten der Menschen. Im Juni kehrt der Pfarrer aus der Reha zurück, will stundenweise wieder hineinfinden in die Seelsorge - und merkt bald, dass es nicht mehr geht. Marx kommt der Bitte nach, ihn zum Jahresende von seinen Pflichten zu entbinden. Mitte November übergibt er den Pfarrverband und das "tolle Team" mit den sieben Mitarbeitern an den für die Übergangszeit eingesetzten Pfarrer Stefan Scheifele.

Bereits sechs Jahre vor Erreichen des regulären Pfarrer-Rentenalters nun also "einstweiliger Ruhestand". Ausgerechnet im Reformationsjahr, in dem er sich gemeinsam mit dem evangelischen Kollegen Stefan Reimers so viel vorgenommen hatte. Vor allem an Feiertagen ist nun eine Leere in ihm. Manchmal denkt er dann an den früheren Brucker Oberbürgermeister, der von einem Herzinfarkt ebenfalls aus dem Berufsleben gerissen worden ist. Bauernfeind hofft, dass die Ökumene weitergeht, dass sich die katholische Kirche "weiter öffnet" und sie mutig und kreativ den Bedarf für das Christentum aufzeigt. "Wir sind da am Anfang", sagt er. "Und mir hätte das Spaß gemacht."

Dass er auch an diesem Heiligabend nicht in Fürstenfeldbruck sein werde, das ist bereits Ende November klar. Sein Plan ist es, bei einem befreundeten Pfarrer zu feiern - und sich Ende des Jahres mit einer Predigt zu verabschieden (wegen der Komplikationen wurde dieser Termin verschoben). Theoretisch ist ein späterer Wiedereinstieg als Pfarrer möglich - nach Fürstenfeldbruck wird Bauernfeind aber nicht zurückkehren. Er will zu Freunden ziehen in ein Haus in Pfaffenhofen und vielleicht in einer Pfarrei mithelfen. Und möglicherweise nach einer Antwort auf die Frage suchen, auf die Pfarrer angeblich doch immer eine Antwort wissen: Warum gerade ich? Albert Bauernfeind geht das in aller Ruhe an - und "mit Gottergebenheit".

© SZ vom 23.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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