4500 Kilometer zu Fuß:Politische Wanderung

Carsten Witt, Jesenwang

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin als Erinnerung an eine furchtbare Vergangenheit: Carsten Witt will auf seiner Wanderung auch dieses Kapitel ansprechen, um den Menschen den Wert der Europäischen Union zu vermitteln.

(Foto: privat/oh)

Carsten Witt aus Jesenwang will im kommenden Jahr von Lissabon nach Tallinn gehen, um den Menschen entlang der Strecke den europäischen Gedanken im persönlichen Gespräch nahezubringen

Von Ariane Lindenbach, Jesenwang

Carsten Witt ist 76 Jahre alt. Ein Alter, in dem andere sich längst zur Ruhe gesetzt haben oder zumindest etwas kürzer treten. Doch Carsten Witt hat andere Pläne, große Pläne: Im Herbst wird er sich auf einen langen Fußmarsch begeben. 4500 Kilometer quer durch Europa will er in einem Jahr zu Fuß zurücklegen. So weit ist es von der portugiesischen Hauptstadt Lissabon bis zur estnischen Kapitale Tallinn. Witt, der in Jesenwang lebt, nimmt diese Wanderung nicht aus sportlichem Ehrgeiz auf sich - auch wenn er in seinem Leben schon an drei Marathonläufen teilgenommen hat, darunter am Vereinigungslauf 1990 in Berlin. Witt will mit seinem Marsch nichts weniger, als die EU vor ihrem Zerfall bewahren. Und dafür sucht er noch Sponsoren und Mitstreiter, die die Strecke ebenfalls bewältigen wollen; das Fortbewegungsmittel ist frei wählbar. "Go Europe!", heißt die von dem Bauingenieur und Sportpsychologen Witt gegründete gemeinnützige GmbH. Am Donnerstag stellt er seine Pläne in seinem Heimatort vor.

1941, in Witts Geburtsjahr, war der Zweite Weltkrieg in vollem Gange. Während er zum jungen Mann heranwuchs, erlebte er, wie die Montan-Union gegründet wurde, die Keimzelle der heutigen EU. Dem 76-Jährigen ist wohl bewusst, dass es "keine Selbstverständlichkeit ist, in Frieden und Wohlstand zu leben", wie er in dem professionellen Filmtrailer auf der Internetseite www.go-europe.eu unterstreicht. Doch vielen der jüngeren Menschen, die in ein Europa hineingeboren wurden, in dem schon seit Jahrzehnten Frieden herrscht, sei dieses Verdienst der Europäischen Union überhaupt nicht mehr bewusst.

Die Idee zu Go Europe! schwele schon länger in ihm. Doch die Ereignisse 2016 hätten ihn dazu bewogen, seine Idee nun umzusetzen. Seit vorigem Jahr, seit Brexit und Trump und vor allen Dingen seit dem beunruhigenden Erstarken der Rechten in ganz Europa, sei ihm klar geworden, dass er nun aktiv werden müsse.

Wenn man die Vita von Carsten Witt betrachtet, ist Go Europe! die logische Konsequenz seines Lebens. In Schleswig geboren und aufgewachsen, macht er nach seiner Ausbildung zum Bauzeichner am Abendgymnasium Abitur, studiert und arbeitet als Bauingenieur viel im Ausland, vor allem in Afrika und Asien. Ende er Achtzigerjahre promoviert er nebenberuflich zum Doctor Paedagogicae im Bereich Sportpsychologie. Die nächsten zwei Jahrzehnte arbeitet er als selbständiger Unternehmensberater und Projektentwickler wieder viel im Ausland.

2009 beginnt er als Quereinsteiger Mathematik und Physik am Gymnasium Obermenzing zu unterrichten. Über die Tätigkeit wird er drei Jahre lang Koordinator für die sogenannten Comenius-Projekte. Das EU-Programm fördert die Kooperation europäischer Schulen - und die Teilnahme steigert die ohnehin schon große Wertschätzung des Jesenwangers für die EU weiter. Witt besucht in der Zeit mit Schülern und Lehrern viele europäische Partnerschulen.

Witt ist mit der SPD-Landtagsabgeordneten Kathrin Sonnenholzner verheiratet. Sein Go Europe!-Projekt aber ziehe er völlig unabhängig durch, betont der 76-Jährige. Überhaupt wolle er sich damit nicht in die Tagespolitik einmischen, sagt er im Zusammenhang mit der Frage nach seiner Reaktion auf die Präsidentschaftswahl in Frankreich. Aber natürlich sei er froh über Emmanuel Macron als Wahlsieger, "weil er genau der richtige Typ ist, den wir brauchen und die EU", bekräftigt Witt.

Bei Go Europe! soll die Begegnung der Menschen, der Abbau von Vorurteilen im Vordergrund stehen. Dafür hat Witt eine genossenschaftliche GmbH gegründet und 100 000 Euro seines Privatvermögens hineingetan. Eine Agentur sucht seit einigen Tagen nach Sponsoren. Diese sollen es vielen weiteren Mitstreitern ermöglichen, sich für ein Jahr auf die Europatour zu begeben. Die Transportmittel kann man selber wählen. Mit von der Partie sind auch zwei gesponserte BMW i3, Elektro-Autos, die laut Witt nicht nur im Ausland, sondern auch in Jesenwang mit ihrer Aufschrift "Go Europe!" Aufsehen erregt haben. Am Donnerstagabend wird er die Hintergründe dazu erläutern.

Go Europe! Was ist das? Donnerstag, 18. Mai, 19.30 Uhr, Bürgerhaus Pfaffenhofen

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