Kandidatin für den Tassilo 2018:Wie man aus Kindern Bücherwürmer macht

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Die Brucker Literaturpädagogin Christine Dietzinger bringt jungen Menschen seit zwölf Jahren das Lesen nahe.

Von Ekaterina Kel, Fürstenfeldbruck

Das Holz knarzt unter den Füßen, wenn man den Saal im vierten Stock der Brucker Bibliothek betritt. Das große Fenster hinter der Bühne ist mit schwarzem Stoff verhängt. Christine Dietzinger steht vor dem Rednerpult, es ist aber kaum zu sehen, so groß ist das selbstgemalte übergroße Taxi aus Pappe. Es ist einem Raumschiff nachempfunden und in die Breite gezogen, Dietzinger hat es selbst gebastelt und am Rednerpult befestigt. "Das ist Literatur", sagt sie, während sie ein aus roter Pappe ausgeschnittenes Dekorationselement an das Taxi anklebt. "Auch wenn es sich auf den ersten Blick nicht erschließt." Dann lächelt sie ganz ruhig, ihre runden hellbraunen Augen spiegeln das Amüsement wider, mit dem die erst kürzlich 60 Jahre alt gewordene Dietzinger grundsätzlich durchs Leben schreitet. Sie nimmt sich immer wieder gerne Zeit, um Verdutzten zu erklären, was Buntstifte und Papptaxis mit Literatur zu tun haben. Und weil ihre pädagogische Arbeit einen wesentlichen Beitrag zur Kulturvermittlung im Landkreis beiträgt, ist Christine Dietzinger für den Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung nominiert.

"Bücher müssen zum Lesen verführen", sagt Dietzinger und legt ihre Finger zusammen, um dem Gesagten Nachdruck zu verleihen. Das sei heutzutage immer schwieriger, die Konkurrenz des Smartphones sei bei Kindern und Jugendlichen besonders groß. Die langjährige Erzieherin und Lese- und Literaturpädagogin ist leidenschaftlicher Bücherwurm. Neben ihrer Arbeit im Montessori-Kindergarten, wo sie 23 Jahre lang mit Kindern gearbeitet hat, begründete sie in der Stadtbibliothek in der Aumühle einen Lesekreis für Kinder mit dem Namen "Bücherwurm im Bücherturm". Dort bringt sie Kindern seit zwölf Jahren ihre Leidenschaft für die Literatur nahe. Dafür liest sie einer Gruppe von Kindern zwischen fünf und neun Jahren Geschichten vor. Aber nicht einfach so, sie überlegt sich einmal im Monat ein Konzept, mit dem sie die Geschichten für die Kinder greifbarer machen kann. Sie lässt sie die Geschichten nachmalen, Figuren und Objekte aus den Erzählungen nachbasteln, einen passenden Tanz ausdenken. Außerdem hat sie gemeinsam mit älteren Kindern und Jugendlichen den Verein Turmgeflüster gegründet, um die Welt der Literatur mit der des Theaters zu verbinden.

Es sind etwa 14 Kinder, die monatlich in die Stadtbibliothek in der Aumühle kommen, um Literatur zu erleben. "Und die kleinen Geschwister warten schon darauf, aufzurücken", sagt Dietzinger. Als nächstes steht das Kinderbuch "Taxifahrt mit Victor" auf dem Programm, darin fährt ein Taxifahrer namens Victor im Weltraum herum. Deshalb auch das Ufo-ähnliche Taxi aus Pappe. Und nach dem Vorlesen will Dietzinger mit den Kindern einen Weltraumtanz in Zeitlupe einstudieren. So sollen die Kleinen ihre eigenen Kreativität ausleben können und auch mal selbst etwas aktiv mitgestalten. Denn die Kinder könnten sich das Erzählte viel besser vorstellen, wenn sie sich dazu bewegten, erklärt sie. In der Schule lernten sie zwar das Interpretieren, aber die Liebe zu den Geschichten, die lernen die Kinder in Dietzingers Lesekreis. "Mir ist es wichtig, dass sie Lust auf die Bücher bekommen."

Im ländlichen Nassenhausen in Dietzingers Haus sind die Bücherregale mit Fantasy-Romanen, Krimis, Kinder- und Jugendbüchern gefüllt. Dort finden sich Werke des Liedermachers und Autors Konstantin Wecker, Romane von Jonathan Stroud oder Abenteuergeschichten von Jack London. Die liebsten Abenteuer der Literaturgeschichte sind ihr aber immer noch die von Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Es sind die Geschichten, die Dietzinger mit ganzer Seele genießt. Wenn sie über Bücher spricht, kommt sie aus dem Lächeln gar nicht mehr heraus. Und wenn sie all diese Bücher ordnen muss, dann nur nach ihrem eigenen System: nach dem spezifischen Bauchgefühl, das sich beim Lesen jeder Geschichte einstellt. "Das sind dann Gefühlsecken. So finde ich sie besser."

Die gebürtige Schwabingerin kommt aus einer Handwerkerfamilie. Es war der Großvater, der ihr immer verschiedene Märchen vorgelesen hat. Ihren eigenen zwei Töchtern las sie auch immer gerne vor. Und als sie zu alt dafür wurden - mittlerweile sind sie 31 und 29 Jahre alt - hat Dietzinger ihre Profession als Erzieherin und ihre Leidenschaft fürs Vorlesen kombiniert und mit dem Lesekreis angefangen. Die ersten Kinder sind mittlerweile selbst über 20 und im Vorstand des Vereins aktiv. Aber ans Aufhören will Dietzinger noch lange nicht denken. Stattdessen träumt sie zusammen mit ihren Kindern und Jugendlichen von einem eigenen Haus für den Verein.

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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