Kandidat für den Tassilo 2018:Wegen alledem

Kandidat für den Tassilo 2018: Auch mit 85 Jahren steht Guido Zingerl immer noch täglich im Atelier seines Brucker Wohnhauses.

Auch mit 85 Jahren steht Guido Zingerl immer noch täglich im Atelier seines Brucker Wohnhauses.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Guido Zingerl ist einer der letzten großen sozialkritischen Künstler. Konflikte mit den Mächtigen hat er nie gescheut, auch nicht als engagierter Gewerkschaftler. Ein Porträt zum 85. Geburtstag.

Von Florian J. Haamann

Kein Künstler im Landkreis hat sein Leben lang so sehr provoziert und polarisiert wie Guido Zingerl. Bis heute prangert er mit seinen Werken alles an, was er für falsch hält: Ungerechtigkeit, Gewalt, Kapitalismus, autoritäre Strukturen. Und immer wieder den Faschismus - den vergangenen und den wieder aufflammenden. Dass sich daran nichts ändern wird, so lange er noch einen Pinsel führen kann und eine Stimme hat, daran besteht zu seinem 85. Geburtstag, den er am Freitag gefeiert hat, kein Zweifel. Für sein jahrzehntelanges weit über die Landkreisgrenzen hinausreichendes künstlerisches Lebenswerk ist Guido Zingerl nun für den Tassilo Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung nominiert.

Zingerl ist kein großer Ästhet, der Wert auf Schönheit und genaue Strichführung legt. Vielmehr ist sein Stil genauso grob und brutal wie seine sozialkritischen Motive. "Meine Bilder zeigen nicht die Realität wie sie ist, sondern eine inhaltliche Realität. Mich interessiert nicht, wie man eine Hand perfekt malt, sondern wie die Welt funktioniert, das Suchen nach dem Dahinter. Deswegen hat mich beispielsweise die Aktmalerei nie gereizt, das kann ein Fotograf besser", sagt der Autodidakt Zingerl.

Lokal waren seine direkten Werke stets umstritten, gemessen an seiner Bedeutung sind sie nur selten zu sehen. National und international dagegen war er von Anfang an mindestens einmal im Jahr an einer wichtigen Ausstellung beteiligt. Beispielsweise von 1963 an bei den Jahresausstellungen des Herbstsalons im Haus der Kunst, 1967 in der Neuen Münchner Galerie und in Edinburgh, 1975 in Westberlin, 1978 auf der Biennale für Karikatur, 1987 in Prag, 1993 im Max-Planck Institut, 2003 in Berlin und 2012 im Münchner Gewerkschaftshaus.

Will man Zingerls tief verwurzelten Antifaschismus verstehen, muss man sich nur zwei Geschichten aus seiner Jugend anhören. "1938, da war ich ein Bub mit sieben Jahren, hat mich mein Vater mitten in der Nacht geweckt und gesagt: "Komm, die Synagoge brennt, das müssen wir sehen", erzählt der gebürtige Regensburger. Er habe damals gar nicht richtig verstanden, was da passiert. Aber das brennende Haus habe sich in seinem Kopf verankert. Genau wie die zweite Geschichte, die sich kurz vor Kriegsende ereignet hat. "Der Domprediger hatte gebetet, dass die Stadt nicht verteidigt, sondern schnell übergeben wird. Dafür wurde er mit zwei Freunden aufgehängt. Wir wurden als Schulklasse dahin gebracht, der Lehrer hat auf sie gedeutet und gesagt, wenn ihr nicht an den Endsieg glaubt, dann geht es euch genauso. Ich habe damals die Gründe nicht verstanden, aber die Menschen da hängen zu sehen, war einfach schrecklich".

Kandidat für den Tassilo 2018: Auch in den Karikaturen, die er 2015 für den Brucker Lokalteil der Süddeutschen Zeitung gezeichnet hat, zeigt er eine deutliche Haltung.

Auch in den Karikaturen, die er 2015 für den Brucker Lokalteil der Süddeutschen Zeitung gezeichnet hat, zeigt er eine deutliche Haltung.

(Foto: Guido Zingerl)

Unzählige seiner Gemälde und unverwechselbaren Zeichnungen beschäftigen sich mit dem Terror der Nationalsozialisten. Im vergangenen Jahr hat er sich das berühmte KZ-Foto des Friedensnobelpreisträgers und Journalisten Carl von Ossietzky als Vorlage für eine düstere Zeichnung genommen. Der abgemagerte Ossietzky blickt den Betrachter an, während neben ihm ein gesichtsloser SS-Offizier mit Knüppel in der Hand steht, hinter ihnen erheben sich Mauer und Stacheldraht. Auch in seinem Zyklus "Große Amperlandschaft" von 1995, der sich mit der Geschichte des Landkreises beschäftigt, ist die NS-Zeit Thema. So wie im Bild "der schwangeren Mechthild G. aus Bruck", die 1941 öffentlich an den Pranger gestellt wurde, weil sie mit einem Franzosen verkehrt hat. Die Meute, samt einem NSDAP-Schergen, zeigt mit den Fingern auf die junge Frau. Zur Kunst ist Zingerl, der gebürtig Heinrich Scholz heißt, allerdings erst recht spät gekommen. "Ich war ein sehr guter Schüler, deswegen haben mir alle Lehrer geraten, Lehrer zu werden. Natürlich für ihr Fach. Ich habe mir damals eingebildet, dass Naturwissenschaften das Richtige für mich sind und eine falsche Entscheidung getroffen". Denn in dem begonnenen Maschinenbau-Studium hat er sich von Anfang an nicht wohl gefühlt. Trotzdem hat er es durchgezogen, wurde Diplom-Ingenieur. "Ich habe früh gemerkt, dass mir das nicht behagt. Aber ich komme aus einem kleinbürgerlichen Milieu, da hat man sich nicht getraut, das Studium einfach abzubrechen". Vielmehr begann Zingerl sogar noch eine Promotion, die er aber nicht mehr zu Ende gebracht hat. "Ich habe damals schon dauernd zu Hause gemalt. 1960 habe ich dann den Entschluss gefasst, ich höre auf und werde Maler."

Vom Vater hat er 300 Mark im Monat bekommen, den Rest hat er sich als Lkw-Fahrer und Hilfsarbeiter auf dem Bau dazuverdient. "Von da an war ich Maler. Ich bin langsam und ganz ohne Ausbildung in den neuen Beruf reingewachsen." Seine finanzielle Absicherung, sagt Zingerl mit einem Lachen, war dann aber die Ehe mit Frau Ingrid. "Sie hat mich durchgebracht." Und diese Unterstützung hat nie aufgehört - obwohl Zingerl ein renommierter Künstler ist und regelmäßig Bilder, Zeichnungen und Karikaturen verkauft. Auch etliche Preise hat er gewonnen, zuletzt den mit 10 000 Euro dotieren Kunstpreis seiner Heimatstadt Regensburg zu seinem 80. Geburtstag 2013. Zuvor wurde er dort bereits 1969 mit dem Kulturförderpreis ausgezeichnet. 1985 bekam er den Kunstpreis des Landkreises Fürstenfeldbruck für sein Bild "Große Amperlandschaft" in Erinnerung an das KZ-Dachau. 1995 gab es dann erneut den Kunstpreis des Landkreises.

Kandidat für den Tassilo 2018: Die Buttons am Eingang zu Guido Zingerls Atelier erinnern an sein politisches Engagement in den vergangenen Jahrzehnten.

Die Buttons am Eingang zu Guido Zingerls Atelier erinnern an sein politisches Engagement in den vergangenen Jahrzehnten.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Vor allem in der Anfangsphase in den Sechziger- und Siebzigerjahren sei es nicht immer leicht gewesen mit dem Geld. Zingerl erinnert sich an Zeiten, in denen er seine Kunst gegen Lebensmittel getauscht hat - ein Jahr lang wöchentlich ein Paket mit Fleisch und Wurst, im Gegenzug hat der Metzger ein Bild bekommen. Schwer war auch die Zeit, in der Ingrid Scholz wegen der politischen Aktivitäten des Ehepaars ein Berufsverbot bekommen hat.

Denn Zingerl gehörte 1968 zu den Gründern der DKP, war im Parteivorstand. Das Paar wurde intensiv vom Verfassungsschutz beobachtet, eine Zeit die Zingerl auch künstlerisch in einem düsteren Werk festgehalten halt. Der Vertrag von Ingrid Scholz an der Münchner Universität wurde nicht verlängert, es kam zum Prozess, den sie verlor. Erst nach einem Jahr hat sie wieder eine Anstellung bekommen, bei einem anderen Arbeitgeber. "Im Prozess habe ich ja die Akten gesehen. Die haben wirklich jedes Wort aufgezeichnet, das ich irgendwo öffentlich gesagt habe, dabei war ich gar nicht so engagiert, sondern nur Parteimitglied", erzählt Scholz.

Später sind beide aus der Partei ausgetreten. "Die haben schon viel politischen Schmarrn gemacht, falsche Konsequenzen gezogen. Ich habe gesehen, dass es so nicht geht. Wenn ich Kommunist bin, dann bin ich das für mich und meine Anschauungen und nicht für eine Partei", sagt Zingerl. Heute glaubt er, dass mit den Menschen kein funktionierender Kommunismus zu machen ist. Zu egoistisch, zu kurzfristig denkend und machthungrig seien sie.

Engagiert hat sich Zingerl dafür von Anfang an in der Gewerkschaft. Unter seiner Mithilfe konnten zwei bis heute wichtige Dinge erreicht werden: die Künstlersozialversicherung und die VG Bild-Kunst. Etwas, wofür er noch immer kämpft, ist ein Ausstellungshonorar. "Wenn ein Musiker auftritt, dann wird er bezahlt, wenn ein Schauspieler engagiert wird, wird er bezahlt. Aber wenn die Bilder eines Künstlers ausgestellt werden, bekommt er nichts. Das ist falsch", sagt der 85-Jährige. "Es ist ja bis heute so, dass es vielen schwer fällt zu sagen, dass sie Künstler sind, wenn sie nicht davon leben können. Dann heißt es schnell, sie sind ein schlechter Künstler. Deswegen war es mir immer wichtig zu sagen, ich bin Künstler, und gleichzeitig klar zu machen, dass ich es nur Dank der Unterstützung meiner Frau sein kann."

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Seine eindrucksvollen Bilder sind stets geprägt von klarer Symbolik.

(Foto: Gemeinde/OH)

Seine Werke will Zingerl nicht als politisches Engagement verstanden wissen, sondern als Visualisierung seiner Standpunkte. "Aber ich glaube schon, dass Kultur eine unterstützende Wirkung auf politisch Engagierte haben kann, dass sie motivierend wirkt." Seine Werke seien stets Ausdruck dessen, was gerade in seinem Kopf rumgeht. Und weil Zingerl sich für alles interessiert, von der lokalen Politik bis hin zur Digitalisierung, ist das so einiges. "Ich kann nicht verstehen, wie ein Künstler als Künstler nicht politisch sein kann. Wir leben doch alle in dieser Welt. Die können doch nicht mit den Händen vor den Augen malen."

Seine neusten Bilder tragen die Titel "Irrenhaus Geld" und "Bitcoin". Es sind großformatige Werke, die in düsteren Farben und Motiven den Kapitalismus geißeln. Statt eines Computers ist es ein kopfloser Mensch, dessen Körper als Rechner für die Bitcoin-Produktion dient, Herz und Hals sind verkabelt. Durch "Irrenhaus Geld" zieht sich ein blutroter Aktienkurs, es sind Militärjets, Hochhäuser und von der Gier feist gewordene Menschen zu sehen. Gepflastert sind beide Bilder mit Leichen und Totenköpfen. Es sind wuchtige, klare Symbole, die sich in vielen von Zingerls Werken wiederfinden.

Der ständige Spagat zwischen aktuellen und historischen Motiven zeigt, genau wie der DVD-Player mit daneben liegenden aktuellen Krimiserien und Actionfilmen auf Blue-Ray, dass Zingerl mit seinen 85-Jahren zu keinem Zeitpunkt stehen geblieben ist, sondern im Gegenteil ein feines Gespür für aktuelle Entwicklungen hat. Über das Alter macht er sich dennoch Gedanken. "Man rechnet natürlich damit, dass irgendwann eine Krankheit kommt oder der Tod. Das ist eben das Leben. Aber es ist kein schöner Gedanke. Das Altwerden ist eine komische Sache, weil immer mehr Dinge dazu kommen, die man nicht mehr beherrscht."

Früher, erzählt er, sei er ein begeisterter Bergsteiger gewesen, sei extreme Touren gegangen, habe unter freiem Himmel übernachtet. "Das war mein Sport, es hat mir immer Spaß gemacht. Wenn ich heute in Filmen einen Bergsteiger sehe, dann macht mich das schon wehmütig."

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