Süddeutsche Zeitung

Ritterturnier:Von kleinen und großen Rittern

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An drei Wochenenden im Juli lebt das Mittelalter in Kaltenberg auf, mehr als 100 000 Besucher wollen das miterleben. Der Neustart der Ritterspiele nach zweijähriger Corona-Zwangspause ist für den Veranstalter ein großer Erfolg.

Von Ralf Tögel, Geltendorf

Ein kleines Tippen mit der Klinge auf die rechte Schulter und Ferdinand ist Ritter. Die Fechtprüfung hat er mit Bravour bestanden, die hölzerne Medaille baumelt schon um seinen Hals, jetzt holt er sich voller Stolz die Urkunde, die ihm höchst offiziell bescheinigt, dass er die Knappenschule der "Bayerischen Ritter zu Kaltenberg" erfolgreich beendet hat. Dass der frisch zum Ritter geschlagene Ferdinand bald zum Dienst antreten muss, ist indes nicht zu erwarten, der Bub ist gerade mal fünf Jahre alt. Es sind aber diese Erlebnisse die das Kaltenberger Ritterturnier für die Besucher so einzigartig machen, die Interaktion der Gäste im großen Gelände mit den Mitwirkenden.

Dem kleinen Ferdinand, der aus dem Allgäu angereist ist, wird dieser Sonntagnachmittag noch lange in Erinnerung bleiben. Für den Veranstalter war das Ritterturnier an den vergangenen drei Juli-Wochenenden die erfolgreiche Rückkehr auf den Veranstaltungskalender. Nach der zweijährigen Corona-Zwangspause gab es schon etwas Ungewissheit, wie Ritter-entwöhnt die Menschen sind. Die Sorge war unbegründet, wie Pressechef Markus Wiegand zufrieden bestätigen kann: "Wir haben die 100 000-Besucher-Marke gerissen", soll heißen, dass an den neun Veranstaltungstagen im Schnitt 11 000 Menschen nach Kaltenberg gekommen waren, um sich eine Auszeit in längst vergangenen Tagen zu gönnen. Viermal war die Veranstaltung mit 13 000 Gästen ausverkauft, mehr ist auf dem großen Schlossgelände aus Sicherheitsgründen nicht zulässig, doch trotz des Ansturms war es ein buntes und friedlichen Fest mit reibungslosem Ablauf, zu dessen Gelingen maßgeblich die mehr als 1400 Mitwirkenden beitrugen.

Wo sonst kann man mit Marktleuten feilschen, die ihr Handwerk wie im Mittelalter verrichten? Wer kommt sonst mit Rittern, Landsknechten oder feinen Bürgersleuten ins Gespräch, trifft Hexen, Narren, Magier, Gaukler oder Feuerspucker und kann sich von Musikanten und Akrobaten auf fünf Bühnen unterhalten lassen? Tavernen und Schänken luden zeitgerecht zum Verweilen ein, es war ein idealer Ort, um seinen Alltag vergessen und sich eine Auszeit im Mittelalter gönnen.

Ein Zweig der Templer

Das ist es auch, was die Bayerischen Ritter zu Kaltenberg antreibt, erzählt deren Großmeister Ritter Peter. Im echten Leben ist Peter Beier Industriekaufmann. Wenn er seine Rüstung trägt, legt er das Handy zur Seite und reist in die Vergangenheit, wie der 45-Jährige erzählt. Entstanden sind die bayerischen Ritter, die am letzten Veranstaltungstag mit einer 46 Mann starken Abordnung vertreten waren und im Schlosshof ihr Quartier aufgeschlagen hatten, aus dem Freien Ritterorden der Templer. Die waren und sind auf mittelalterlichen Veranstaltungen in ganz Bayern präsent, im Jahr 2014 trat Ritterturnier-Erfinder Heinrich Prinz von Bayern mit der Bitte an den Orden, in Kaltenberg eine neue Rittergruppe aufzubauen.

"Neben dem Entertainment geht es uns auch um eine gewisse Entschleunigung", erzählt Großmeister Peter, "wir leben hier auch wie im Mittelalter." Dafür bringen die Rittersleut' einen großen Einsatz, nicht nur weil sie mit ihren zumeist selbstgemachten Rüstungen, die bis zu 40 Kilogramm wiegen, bei oft brütender Hitze ihren Dienst tun. Sein Kettenhemd etwa hat Beier in neunmonatiger Filigranarbeit selbst geknüpft, er erzählt begeistert von der Gemeinschaft, den Werten und Tugenden, die die Ritter hochhalten.

Und am letzten Tag haben sie eine ganz besondere Aufgabe: Es gilt einen außergewöhnlichen Gast in die Arena zu geleiten - was angesichts eines ohnehin großen Aufkommens an Prinzen und Prinzessinnen an diesem Wohnsitz der blaublütigen Wittelsbacher überraschend ist. Ansonsten geleiten die bayerischen Ritter Hausherr Prinz Luitpold in die riesige Arena, zum Finale ist sozusagen der König höchstselbst gekommen: Landesvater Markus Söder schreitet unter einer Melange aus höflichem Beifall und Buhrufen von der Loge auf die Kampfbahn, dorthin, wo gerade noch der schwarze Ritter zum letzten Mal sein Unwesen getrieben hat. Als Sewalt, Sohn von König Artur, hat er selbigen aus Eifersucht um den Thron gemeuchelt und musste sich dann nach epischen Schlachten und dem spektakulären Lanzenstechen vor 10 000 begeisterten Zuschauern dem edlen Ritter Egmund geschlagen geben: Das Gute hat wie immer das Böse besiegt. Nun wird Stunt-Koordinator Frederic Laforet, der letztmals die tragende Rolle des Bösewichts gespielt hat, von König Markus und großem Applaus in den Ruhestand verabschiedet, der 56-Jährige zieht sich zurück.

Der Chef der Stuntgruppe übergibt den Staffelstab

Das hat Mario Luraschi, der Chef der französischen Stunttruppe Cavalcade, die diese Veranstaltung prägt und wohl in diesem Bereich die weltbeste ist, bereits getan. Die spektakuläre zweistündige Show, die neben den professionellen französischen Kaskadeuren von knapp 200 Laiendarstellern getragen wird, die ebenfalls ein sehr beachtliches Niveau in ihrem Schauspiel erreicht haben, hat Luraschi auf der Tribüne in der ersten Reihe verfolgt. Immer wieder gab er den Kaskadeuren Tipps, schließlich ist Luraschi derjenige, der nach wie vor maßgeblich hinter der einzigartigen Reitkunst der Schauspieler steht. Besonders emotional beobachtet er den edlen Egmund, der von seinem Sohn Marco dargestellt wird. An ihn wird der 74-jährige Gründer der Truppe den Staffelstab übergeben, der Nachwuchs steht also bereits in der Arena.

Aber nicht nur in der Arena: Ob der kleine Ferdinand aus dem Allgäu selbst einmal als Ritter in der Arena stehen will, darüber muss er noch nachdenken. Klar ist aber, dass er wiederkommen wird - er hat sich mit den bayerischen Rittern bereits verabredet.

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