Lesenswert:Ein Buch, das die Augen öffnet

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"Föhrenwald - das vergessene Schtetl" von Alois Berger, erschienen bei Piper, 24 Euro. (Foto: Katrin Schmidt)

Durch Alois Bergers "Föhrenwald, das vergessene Schtetl" erfährt unsere Kolumnistin Katrin Schmidt von der besonderen jüdischen Vergangenheit ihres Geburtsorts.

Von Katrin Schmidt

Ich bin seit 25 Jahren Buchhändlerin und liebe meinen Beruf sehr. Was ich besonders gerne mag, ist die Tatsache, dass ich über die vielen Bücher, die durch meine Hände gehen, immer wieder spannenden, neuen oder interessanten Themen begegne, mit denen ich sonst wohl nie in Berührung gekommen wäre. Hätten Sie gewusst, was Exoplaneten sind? Ich auch nicht - bis ein Kunde einmal ein Buch darüber bestellte. Ich liebe es, durch Bücher neue Dinge zu erfahren und meinen Wissenshunger damit zu stillen.

Schon als Jugendliche habe ich mich für jüdische Geschichte in Deutschland interessiert, ich glaube, eine Zeitlang hatte ich fast jedes Buch, welches in der Bibliothek damals verfügbar war, gelesen. Vor allem Autobiografien der Überlebenden des Holocausts habe ich viel gelesen. Die meisten endeten mit der Befreiung aus den KZs oder der Auswanderung aus Deutschland. Was mit den in Deutschland verbliebenen Menschen jüdischen Glaubens geschah, darüber gab es wenig zu lesen. Noch weniger war mir klar, dass der Ort, in dem ich aufgewachsen bin, voller jüdischer Geschichte steckte. Das änderte sich schlagartig, als mir dieses Frühjahr "Föhrenwald - das vergessene Schtetl" von Alois Berger in die Hände fiel. Es erzählt die Geschichte des Lagers Föhrenwald, südlich von München. Europas größte jüdische Siedlung außerhalb Palästinas nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Besondere: das Lager Föhrenwald wurde in den Fünfzigerjahren in Waldram umbenannt, die verbliebenen Juden quer über Deutschland verteilt. Es ist nun ein Stadtteil von Wolfratshausen, keine 40 Kilometer von Germering entfernt. Dort bin ich geboren, ging in den Kindergarten, in die Schule, verbrachte meine ganze Jugend dort. Wir erfuhren im Geschichtsunterricht, dass es im Krieg ein Arbeitslager für die Fabriken im benachbarten Geretsried war. Über "Föhrenwald" und seine jüdischen Bewohner wurde damals nichts gelehrt.

Umso neugieriger war ich auf das Buch. Ich habe es in zwei Tagen verschlungen. Es enthält nicht nur viele Interviews, Fotos und Gespräch mit Zeitzeugen (ein paar konnte ich tatsächlich als Eltern und Großeltern meiner Schulfreunde identifizieren), sondern setzt das erlebte in den weltpolitischen Kontext und beschreibt das jüdische Leben in Deutschland nach 1945. Wie ging man mit den befreiten Juden in Deutschland um? Wie verlief ihr Leben weiter, wo leben Sie heute? Denn beileibe nicht alle hatten die Chance, nach 1945 Deutschland zu verlassen. Natürlich habe ich einen besonderen Bezug zu diesem Buch - doch darüber hinaus ist es für alle unglaublich interessant, die sich für deutsch-jüdische Geschichte nach 1945 interessieren. Ich gehe nun mit anderen Augen durch meinen Geburtsort, meine Neugier, noch mehr über die Geschichte meiner "alten Heimat" zu erfahren ist geweckt - Dank dieses Buches.

Der Autor Alois Berger kommt am 18. Oktober für eine Veranstaltung nach Germering. Auf Einladung der Buchhandlung Lesezeichen, in Kooperation mit VHS und Stadtbibliothek findet in der Bibliothek eine Lesung mit Vortrag statt. Alle Infos dazu und die Möglichkeit, Karten online dafür zu erwerben, gibt es unter www.lesezeichen.biz

Katrin Schmidt ist Mitinhaberin der Buchhandlung Lesezeichen in Germering. Regelmäßig stellt sie gemeinsam mit Helen Hoff im Wechsel mit Nicola Bräunling von der Buchhandlung Bräunling in Puchheim ihre aktuellen Lieblingsbücher vor.

Der Laden "Lesezeichen" von Helen Hoff (links) und Katrin Schmidt hat den Deutschen Buchhandlungspreis 2021 für die "Beste Buchhandlung" gewonnen. (Foto: Leonhard Simon)
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