Jexhof:Der düstere Wahn der Fürstenfeldbrucker

Der Katalog zur Ausstellung "Geburt und Tod" geht unter anderem dem Weltbild der Landkreisbewohner im 19. Jahrhundert nach

Von Peter Bierl

Ausstellung Jexhof

Um nicht mit Kindern überhäuft zu werden, heirateten die Brucker besonders spät.

(Foto: Veronica Laber)

Das irdische Leben ist ein Jammertal. Wir können schlaue Lichter sein und noch so viel planen, am Ende funktioniert es doch nicht, wie Bert Brecht einst bemerkte. So verwundert es nicht, dass Menschen zu allen Zeiten hofften, mit vermeintlichen überirdischen Mächten einen Deal abzuschließen. Besonders ausgeprägt waren die Phantasien im Zusammenhang mit "Geburt und Tod", wie die gleichnamige aktuelle Sonderausstellung im Jexhof zeigt. Im zugehörigen Katalog beschreiben die Autoren allerlei Praktiken, die heute vielleicht ein Wenig skurril anmuten und sich dann doch nur in ihrer Erscheinungsform vom Angebot heutigen der Esoterikszene unterscheiden.

Zwei wichtige Quellen dazu aus dem Brucker Land stellen die Berichte des Amtsarztes August Berger (1813-1874) und des Amtsgerichtssekretärs Franz Seraphin Hartmann (1824-1883) dar. Der Volkskundler Stephan Bachtler verweist in seinem Aufsatz auf die unterschiedlichen Motive der beiden Quellenautoren. Berger verfasste zwischen 1857 und 1860 eine "topographisch-statistische Beschreibung" im Auftrag des Innenministeriums und arbeitete dafür einen Fragenkatalog ab. Das Ziel war, empirisches Material für verwaltungsmäßiges Handeln zu gewinnen. Hartmann hingegen war von romantisch-völkischen Vorstellungen getrieben, die Bräuche und Sitten als Relikte einer germanisch-heidnischen Kultur interpretierte, als Ausdrucksformen eines deutschen "Volksgeistes", wie die Brüder Grimm meinten, die es zu erhalten galt.

So glaubte Hartmann im Landkreis "den letzten und unvermischten Rest eines uralt eingesessenen Volksstammes" aufzuspüren. Ihm ging es um Trachten und Sitten, die sich "inmitten einer Alles nivellierenden Civilisation rein und unverfälscht" erhalten hätten. Unverkennbar ist die kulturpessimistische Grundhaltung in einer Zeit des schnellen Übergangs, der Industrialisierung und Urbanisierung, die gerade die bürgerlichen Mittelschichten verunsicherte. Ähnlich beschreiben heute manche Globalisierungskritiker eine angebliche Einebnung von Kulturen, als handelte es sich um unveränderliche, klar abgegrenzte Einheiten.

Gleichwohl spürt man bei Hartmann ein gewisses Entsetzen über das, was er im Landkreis wahrnimmt. Den "trüben Grundton" der Brucker bilde "der düstere Wahn, daß der Mensch fortwährend den Einflüssen und Nachstellungen böser Geister, des Teufels und seines Anhangs blosgestellt sei", notierte er 1876. Vor allem so genannte Truden, hexenähnliche, alpdrückende Gestalten plagten die Menschen, vermerkten beide Beamte in ihren Aufzeichnungen. Besonders das Wochenbett galt als eine Lebenslage, in der Hexen und Truden gerne angriffen. Geweihte Amulette und Kreuze oder das Hexenband sollten Schwangere und Wöchnerinnen deshalb vor ihnen schützen. Angesichts der hohen Sterblichkeit von gebärenden Frauen und Säuglingen auf Grund schlechter Hygiene, unzureichender Ernährung und geringer medizinischer Versorgung auf dem Land, blieb den meisten ja auch wenig übrig als zu beten.

Berger lieferte dazu harte Fakten. Die Brucker heirateten spät, absichtlich, um nicht "mit Kindern überhäuft zu werden". Die häufigsten Todesursachen waren Krämpfe, Wundstarrkrampf und Tollwut, gefolgt von Fieber und Herzschwäche. Viele starben allerdings auch schon an Krebserkrankungen. Der frühere Brucker Stadtarchivar Michael Volpert hat dazu in seinem Aufsatz Material aus den Pfarrmatrikeln über die Säuglings- und Kindersterblichkeit ergänzt. So starben in Puchheim 1710 elf Kinder noch vor dem zweiten Geburtstag, nur 18 Kinder wurden im gleichen Zeitraum geboren. In Jesenwang war das Verhältnis mit 35 zu 23 Anno 1799 noch schlechter. Wer die ersten Jahre der Kindheit überlebte, hatte eine Lebenserwartung von um die 60 Jahre.

Gleichwohl brachte der Aberglaube nicht immer nur Erleichterung, sondern konnte die irdische Not durch Seelenpein noch verstärken und führte Ende des 19. Jahrhunderts dazu, dass sich die Landbevölkerung gegen medizinische und hygienische Neuerungen sperrte. Die Vorstellungen enthielten allerlei Vorurteile, gegen Frauen, die als unrein galten, oder Sinti und Roma, die als Zigeuner diffamiert und der Hexerei und Zaubererei beschuldigt wurden. Der Amtsarzt Berger registrierte, dass alte Menschen sich für unnütz hielten, weil sie nicht mehr in der Lage waren zu arbeiten, deshalb den Tod herbeisehnten und bei Krankheiten oft die Hilfe eines Arztes verweigerten.

Umso mehr Energie wurde für die Jenseitsvorsorge aufgewendet, wie Volpert schreibt. Im Mittelalter setzte sich die Vorstellung durch, dass die Seele im Fegefeuer geläutert werden müsse, 1366 erhob der Papst diese Idee zur Doktrin. Der einzige Weg, um die Qualen im Purgatorium abzukürzen, bestand in einem maximalen "Seelgerät", einem Vorrat an guten Taten und Gebeten. Darum die Stiftungen, Schenkungen, Ablässe und Pilgerfahrten, von denen der Klerus profitierte. Wichtig war die stellvertretende Bußpraxis. Der Stifter zahlte dafür, dass andere für sein Seelenheil beteten. In vielen Dörfern im Brucker Land schlossen sich Männer zusammen, um gemeinsam für ihr Seelenheil zu sorgen, etwa zur "Bruderschaft des gottseligen Wandels von Jesus, Maria und Josef" in Aufkirchen, zur Rosenkranzbruderschaft in Bruck oder zur "Bruderschaft vom guten Tod" in Mammendorf.

Von der Bruderschaft der armen Seelen in Grunertshofen sind die Statuten erhalten. Vier Mal im Jahr musste jeder Bruder zu den Totenvespern mit jeweils dreißig Stunden Gebet im Anschluss. Täglich sollte jeder fünf Vaterunser und Ave Maria beten, im Todesfall eines Mitglieds verdoppelte sich die Pflicht. Die Bruderschaft versammelte sich außerdem viermal im Jahr zu Konventstagen. Der enorme zeitliche Aufwand für die Jenseitsvorsorge erboste die bürgerlichen Aufklärer, die die Menschen lieber zur Maloche anhalten wollten und mithilfe der Staatsmacht konsequent Feiertage und Pilgerfahrten einschränkten. Der Fortschritt war eben immer schon eine zwiespältige Sache.

Reinhard Jakob, Hrsg., Geburt und Tod. Anfang und Ende des Lebens im Brucker Land, 2013, 128 Seiten, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung. Diese ist noch bis zum dritten November zu sehen. Geöffnet ist das Museums von Dienstag bis Samstag jeweils von 13 bis 17 Uhr, Sonn- und feiertags von 11 bis 18Uhr.

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