Süddeutsche Zeitung

Jesenwang:Kulturerbe Willibaldritt

Freundeskreis beantragt Eintrag in ein bundesweites Verzeichnis. Im Zuge der Recherchen gerät ein Rechnungsbuch aus Kloster Fürstenfeld in den Blick. Es lässt darauf schließen, dass das Brauchtum sogar bis ins Jahr 1555 zurückreichen könnte

Von Manfred Amann, Jesenwang

Der Willibaldritt in Jesenwang zählt zu den größten und aufwendigsten Brauchtumsveranstaltungen der Münchner Region und hat eine lange Tradition - die sogar weiter zurückreicht als bislang angenommen. Alljährlich werden je nach Witterung bis zu 300 herausgeputzte Pferde gezählt, auf geschmückten Kutschen, Kasten- und Leiterwagen fahren Dutzende von Unterstützern, Honoratioren und Politikern mit, und die Zahl der Zuschauer liegt durchschnittlich bei 2500.

Als europaweit einmalig gilt der Durchritt durch die Kirche nach der Segnung von Pferd und Reiter. Auf Zureden von Volkskundlern und Heimatforschern hat der Freundeskreis Sankt Willibald nun offiziell beantragt, den Willibaldritt in das "Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbe" als besonders erhaltenswert und förderfähig aufzunehmen. Der Freundeskreis übernimmt seit 40 Jahren für die Gemeinde Jesenwang die Organisation und wurde dafür 2018 vom damaligen Heimatminister Markus Söder mit dem Heimatpreis ausgezeichnet. Sollte der Willibaldritt zum Kulturerbe erklärt werden, würde er gleichziehen mit Veranstaltungen wie der Tölzer Leonhardifahrt, dem Kötztinger Pfingstritt, dem Georgiritt mit dem historischen Schwerttanz zu Traunstein sowie dem Further Drachenstich oder dem Augsburger Friedenfest.

So ein Projekt braucht allerdings einen langen Atem. "Wir haben alle Möglichkeiten genutzt, um unseren Antrag stichhaltig zu begründen", sagt Martin Schmid, der Vorsitzende des Freundeskreises. Bei den Recherchen und bei der Texterstellung sei er von Kreisheimatpflegerin Susanne Poller, der Historikerin und stellvertretenden Museumsleiterin in der Kreisstadt, Barbara Kink, und von Ex-Kreisheimatpfleger Toni Drexler tatkräftig unterstützt worden. Wichtige Hilfe hätten insbesondere auch die Vorsitzende des Historischen Vereins für Fürstenfeldbruck und den Landkreis, Ulrike Bergheim, Kreisarchivpfleger Stefan Pfannes sowie die Vereinsmitglieder Eva Zeh und Paul Weigl mit Archivrecherche geleistet. Die Fotogruppe Mammendorf erstellte zudem eine Foto-Dokumentation. In der Bewerbung wurde herausgestrichen, dass der Willibaldritt ein kulturell und gesellschaftlich bedeutendes Brauchtum darstellt und die Gemeinde Jesenwang sowie der Freundeskreis Sankt Willibald sich einsetzen, um diese Wallfahrt zu bewahren. Familien geben dabei ihre teils vor hundert oder mehr Jahren freiwillig übernommenen Aufgaben immer wieder an die jüngere Generation weiter, so Martin Schmid.

Der Vorsitzende ist sich sicher, dass sich der Aufwand für die Antragstellung schon jetzt gelohnt hat. "Bei den Recherchen sind wir darauf gestoßen, dass die Verehrung und die Wallfahrten in Jesenwang schon lange vor dem Gelöbnis im Jahre 1712 Bedeutung hatten." Diese Jahreszahl steht auf dem Votivbild, das der Freundeskreis im Vorjahr restaurieren ließ. Überdies ist darauf vermerkt, dass sich die Jesenwanger dem Heiligen erfolgreich "verlobten", weil nach einem Hilferuf an ihn kein Tier mehr an der damals grassierenden Seuche zugrunde gegangen sei. 2022 wird die 300. Auflage stattfinden. Schriftlich nachgewiesen werden kann die Wallfahrt nach neuesten Erkenntnissen schon 1555 durch einen Eintrag in die Rechnungsbücher des Klosters Fürstenfeld. Als gesichert gilt auch, dass der Fürstenfelder Abt an Pfingsten eine Pferdesegnung vornahm. Die Klosterliteralien verzeichnen 1574 eine Menge eiserner Votivgaben in Form von Hufeisen, was auf eine frühe Pferdewallfahrt hinweisen dürfte. Außerdem lässt sich nun auch belegen, dass bereits Ende des 17. Jahrhundert, also lange vor dem Gelöbnis von 1712, das bisher als Anlass für den Willibaldritt galt, durch die Willibaldkapelle geritten wurde.

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Quelle:
SZ vom 26.11.2019
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