Inklusion:Ein Tag voller Emotionen

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Zum ersten Mal singen die Teilnehmer des inklusiven Gospelchores gemeinsam in Fürstenfeldbruck. Schon bei der ersten Probe wird deutlich, wie viel Spaß alle Beteiligten an diesem Projekt haben.

Von Valtentina Finger

90 Menschen ohne und 60 Menschen mit Behinderungen singen gemeinsam in einem Chor. Beim ersten Treffen geht es ein wenig zu wie bei einem TV-Casting: Es wird vorgesungen und sortiert, Rollen werden besetzt. (Foto: Johannes Simon)

Normalerweise ist der Parkplatz des Graf-Rasso-Gymnasiums am Wochenende leer. Anders am vergangenen Sonntag: Da waren nicht nur die Parkplätze, sondern auch die ganze Aula besetzt - von einem Chor, der für sein erstes großes Konzert probt. Aber nicht alle Teilnehmer erheben sich, als der Chorleiter das Zeichen gibt. Das hat allerdings nichts mit fehlendem Enthusiasmus zu tun: Einige der Teilnehmer können nicht aufstehen. Sie sitzen im Rollstuhl. Denn am Sonntag fand der erste Probentag für das Caritas-Projekt "Oh Happy Day" statt, das aus Spenden an den SZ-Adventskalender unterstützt wird: Rund 150 Menschen, teils mit, teils ohne Behinderung, stehen im April für ein Gospelkonzert im Stadtsaal Fürstenfeldbruck auf der Bühne. Dieses Ziel ist die eine Sache. Doch das gemeinsame Erlernen, der Weg dorthin, ist mindestens ebenso wichtig. "An diesen Tagen passiert ganz viel an Begegnung. Alle wollen dasselbe und dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Menschen, die behindert sind oder nicht und solchen, die gut oder weniger gut singen können", sagt Thilo Wimmer, der die Caritas-Kontaktstellen für Menschen mit Behinderung in Fürstenfeldbruck und Dachau leitet.

Was Wimmer mit Begegnung meint, spürt man bereits beim Eintreten. Gerade ertönt "Dust in the Wind" von Kansas; viele haben die Arme umeinander gelegt, manchen sieht man ihr Handicap an, anderen nicht. Beim Refrain von Leonard Cohens "Hallelujah", ein Lied, das schon an sich zu Tränen rühren kann, heben alle die Hände in Gebetspose über den Kopf. In diesen Momenten liegt ein Schwall von Herzenswärme und Menschlichkeit, dem man sich unmöglich entziehen kann. Es ist nur nachvollziehbar, dass Thilo Wimmer sich eine Träne von der Wange wischen muss, als er von der "unglaublichen Emotionalität" erzählt, die er an diesem Tag erfahren hat.

In der Aula probt der große Chor mit Roger Hefele, der die Musikstücke für das Konzert arrangiert und gegebenenfalls vereinfacht. Ulrike Buchs-Quante, die Ideengeberin und musikalische Leiterin des Projekts, übt mit den Solisten in der Mensa nebenan, denn sowohl Menschen mit als auch ohne Behinderung haben sich vor der Mittagspause für eine Solo-Passage gemeldet. "Wir unterscheiden nicht danach, wer behindert ist und wer nicht, denn wer keine Noten lesen oder sich wie ich nicht gut Schrittkombinationen merken kann, hat in gewisser Weise auch ein Handicap", sagt Buchs-Quante, die zum ersten Mal mit Behinderten zusammenarbeitet.

Josef Karl ist einer der Solisten. Der 22-Jährige aus Aufkirchen liebt Musik, besonders Gothic oder Mittelalter-Rock. Während er spricht, hantiert er unablässig mit seinem Handy herum, genauso wie andere in seinem Alter auch. "Viele Behinderte trauen sich gar nicht, bei so etwas mitzumachen. Es ist schön, dass es jemand wagt, so was mit so unterschiedlichen Menschen aufzubauen", sagt Josef. Bei Julia Asal aus Esting, die zu Hause gerne das Karaoke-Spiel Singstar singt, und Simone Ostermair aus Olching war es jeweils ihre Mutter, die sie zum Mitmachen animiert hat. Bei Michael Friedle aus Puchheim, der wegen Multipler Sklerose auf den Rollstuhl angewiesen ist, war es seine Frau: "Sie singt in zwei Gospelchören und will immer, dass ich auch singe. Jetzt hat sie mich erwischt." Der 28-jährige Thomas Eibl hat schon bei einem Schulkonzert ein Gospelsolo gesungen; für ihn ist dieses Projekt eine "sehr gute Erfahrung". Auch für Oliver Engl und Hirlsa Handzik ist die Bühne kein unbekannter Ort: Die beiden spielen zusammen in einer Band, zu deren Repertoire neben Pop, Rock und Swing auch etwas Gospel gehört. Engl war drei Jahre lang Mitglied der Blue Dolphins, einer Band aus Behinderten und Nicht-Behinderten, die unter anderem den Tassilo-Preis der Süddeutschen Zeitung gewonnen hat. Handzik hat lange in Gospelchören gesungen und einmal mit Gehörlosen ein Konzert für deren Eltern organisiert.

Obwohl Inklusion eine wichtige Triebfeder des Projekts ist, soll "Oh Happy Day" keine rein soziale Unternehmung sein. Es sei vielmehr ein Kulturprojekt, so Wimmer. Um Mitleid geht es hier nicht, sondern um die Kunst des Singens, und bei den vielen strahlenden Gesichtern freut man sich mehr mit ihnen als sie zu bedauern. "Links neben mir sitzt eine junge Dame, die alle umarmt und die ganze Zeit lacht. Diese Menschen bringen uns so viel Wertvolles, wenn man sich darauf einlässt", sagt Karina Kilian. Ein Solo zu singen, hätte sich die 33-Jährige aus Olching anderswo nicht getraut. "Aber weil hier die Vollkommenheit im Unperfekten liegt, traut man sich doch", sagt Karina. Schöner und treffender kann man diesen ersten Probentag kaum beschreiben.

Gospelkonzert "Oh Happy Day", am Sonntag, 6. April, im Stadtsaal des Veranstaltungsforums Fürstenfeldbruck, Karten unter: 08141/66 65 444.

© SZ vom 25.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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