Industrie 4.0:Von Germering in die ganze Welt

Handwerkerhof

Martin (links) und Ludwig Lindinger bauen am Stadtrand von Germering derzeit ihr neues Firmengebäude.

(Foto: Günther Reger)

Die Brüder Ludwig und Martin Lindinger haben eine Möglichkeit gefunden, mit ihrem Holztechnik-Betrieb in der Stadt zu expandieren

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Dieser Bau sticht sofort ins Auge. Riesige Holzträger überspannen ein großes Areal auf dem Gelände des sogenannten Handwerkerhofs an der Augsburger Straße am Stadtausgang zu Puchheim-Ort. Wer wagt es, eine 4000 Quadratmeter große Halle zu bauen? "So eine Investition ist immer ein Risiko, aber wir sind überzeugt davon, dass sie sich lohnt", sagt Ludwig Lindinger. "Wir", das sind die Brüder Ludwig und Martin Lindinger aus Germering. Der eine 36 Jahre, der andere 27 Jahre alt. Die beiden Schreinermeister haben vor vier Jahren zusammen eine Holztechnik-Firma gegründet und wollen jetzt Holzbauteile in einem Hightech-Betrieb produzieren.

Holzbauteile fertigen die Brüder bereits an ihrem jetzigen Standort in Germering an der Salzstraße. Aber die Kapazitäten reichen dort schon lange nicht mehr aus, um alle eingehenden Aufträge erfüllen zu können. Die Firma liefert Elemente in allen Größen - vor allem für den Laden- und Messebau. "Die Entwicklungschancen waren dort nicht mehr gegeben", erklärt Martin Lindinger. "Wir wollten aber gerne in Germering blieben."

Lange Zeit fanden sie kein passendes Grundstück und wollten schon nach Inning am Ammersee ausweichen. Doch dann wurden sie schließlich auf dem Areal des ehemaligen Pferdehofes fündig. Dort entsteht jetzt die neue Produktionsanlage, die in der Holzverarbeitung eine der modernsten in Süddeutschland werden soll. Computer und Roboter werden die Fertigungsstraßen samt Lackiererei steuern. "Wir wollen bei Industrie 4.0 vorne mit dabei sein", bekräftigen die Lindingers übereinstimmend. Mit modernster CNC-Fertigung können per Knopfdruck kostengünstige Großserien und auch komplizierte Möbel in kleinster Auflage produziert werden. Dabei kommen unterschiedliche Bohr-, Fräse- und Sägeaggreate zum Einsatz.

Die Brüder sind davon überzeugt, dass eine traditionelle Schreinerei keine Zukunft mehr hat. "Viele sind Pleite gegangen, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben", sagt Ludwig Lindinger. Schreiner müssten sich dem veränderten Berufsbild stellen und mit der neuen Technik mitgehen. Um ihren Hightech-Betrieb zu finanzieren, haben die Lindingers mehrere Millionen Euro Kredit aufgenommen. Eine örtliche Bank hat das Konzept offenbar überzeugt, und auch die Stadt Germering hat das Vorhaben unterstützt. Ludwig Lindinger lobt die Stadt: "Der Bauantrag wurde schnell bearbeitet." Seit Ende Oktober erstellt eine Firma die Produktionshalle. "Wir haben uns bewusst für einen Holzbau entschieden", meint Martin Lindinger. Eine Bodenheizung soll mit Holzresten, alten Abfällen und der Abwärme der Produktionsmaschinen betrieben werden. Auf dem riesigen Dach ist Platz für eine Fotovoltaikanlage. Der Sonnenstrom könnte den enormen Stromverbrauch in der Produktionshalle dann mit decken.

Im kommenden Sommer soll Lindinger Holztechnik am neuen Standort in Betrieb gehen. Etwas Zeitdruck besteht, weil der Pachtvertrag am bisherigen Standort im August 2017 endet. Bisher laufe alles nach Plan, "aber jeder Tag bringt ein neues Abenteuer", so Ludwig Lindinger. Einerseits muss der Neubau überwacht und gleichzeitig müssen die laufenden Aufträge abgewickelt werden. Gerade sind Lindinger-Holzteile auf ein Schiff verladen worden, das nach Dubai fährt. Das Unternehmen beliefert Firmen in aller Welt mit Holzbauteilen für Messestände, genauso für Laden- und Hoteleinrichtungen. Auf ihrer firmeneigenen Internetseite sind zwei Dutzend Beispiele von futuristischen Messebauten zu besichtigen. Neben Dubai zählen die Brüder auch Marokko und Neuseeland als Abnehmerländer auf.

Wenn der neue Betrieb mit viel mehr Fertigungskapazitäten steht, werde der Export noch zunehmen. Die zehn Mitarbeiter aktuell werden alle bleiben. Eher kommen noch neue dazu. "Wegrationalisiert wird durch die neuen Maschinen niemand", sagt Martin Lindinger. "Nur die schwere körperliche Arbeit werden demnächst Maschinen und Roboter erledigen." Häufig mussten schweren Holzplatten noch mit Menschenkraft bewegt werden. Zudem bilden die Lindingers Lehrlinge in Holztechnik und auch den klassischen Schreiner aus, der sich aber mit der vernetzten Holzproduktion anfreunden muss.

"Wer Industrie 4.0 nicht mitmacht, ist schnell weg", heißt es bei den Lindingers. "Wenn du zwei Jahre nichts machst, bist du heutzutage weg vom Fenster." Die Vernetzung des gesamten Produktionsablaufes inklusive Logistik und Mensch werde in Zukunft Standard sein. Vom Juni kommenden Jahres an soll es nicht mehr passieren, dass Lindinger Holztechnik immer wieder Aufträge absagen mussten, weil die Kapazitäten nicht reichten oder sie nicht kurzfristig auf einen Großauftrag reagieren konnten. "Messebauer bestellen manchmal hundert Wandplatten, die nächste Wochen da sein sollen", erläutert Ludwig Lindinger. "Das war bisher nicht zu schaffen."

Die neue Halle wächst und wächst inzwischen. Martin Lindinger schaut zuversichtlich nach oben zu den Dachstreben. Die Zeit der schlaflosen Nächte der beiden Brüder, angesichts des finanziellen Risikos, das sie eingehen, scheinen nun vorbei zu sein. "Es wird schon alles gut gehen", sagt Martin Lindinger, und bei diesen Worten strahlt er einen unerschütterlichen Optimismus aus.

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