Im Katastrophenfall für den Landkreis Fürstenfeldbruck:Stumme Heuler

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Die Sirenen, mit denen früher für die Bevölkerung in Katastrophenfällen alarmiert wurde, sind seit dem Ende des Kalten Krieges vernachlässigt worden. Im Landkreis gibt es nur noch eine in jeder Gemeinde

Von Erich C. Setzwein, Fürstenfeldbruck

Der Kalte Krieg hatte schon etwas für sich. Dem Westen war klar, dass der Feind aus dem Osten kam und dass man Deutschland verteidigen musste. Vor allem sollte die eigene Bevölkerung geschützt werden, weshalb zwei Generationen regelmäßig Probealarme hörten und das auf- und abschwellende Sirenengeheul von den Rathaus- und Wirtshausdächern zu deuten wussten. Seitdem es die Konfrontation zwischen Nato und Warschauer Pakt nicht mehr gibt, seitdem so etwas wie Frieden in Europa herrscht, ist sowohl die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft als auch der Zivilschutz massiv abgerüstet worden. Deshalb könnte es, wie es in Fachkreisen heißt, auch im Landkreis Fürstenfeldbruck schwieriger werden, die Bevölkerung in einer katastrophalen Situation zu warnen.

Vor allem wenn die Elektrizität flächendeckend ausfallen sollte und keine App mehr aktualisiert wird, könnten manche digital Abhängigen ein wenig nervös werden. Im Landratsamt, in dem sich das Referat für öffentliche Sicherheit und Ordnung um Katastrophen und die Vorsorge kümmert, ist man zwar zuversichtlich, dass bei einer Katastrophe wie etwa in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen die Bevölkerung informiert werden würde, aber Verbesserungsbedarf sieht man schon.

Maisach Sirene auf Dach der Feuerwehr Maisach (Foto: Carmen Voxbrunner)

"In jeder Gemeinde gibt es mindestens noch eine Sirene", sagt Bernd Wanninger, der sich um den Fachbereich in der Kreisbehörde kümmert. 80 Sirenen seien noch vorhanden, und diesen aktuellen Wert kann Wanninger als gesichert nennen, weil das bayerische Innenministerium erst dieser Tage wieder die Zahl abgefragt hat. Denn Bayern ist wie andere auch beim Bevölkerungsschutz hintendran und will jetzt aufrüsten, hat ein Förderprogramm aufgelegt, damit in den Kommunen die Sirenen wieder heulen können. Das vom Bund aufgelegte Programm mit 88 Millionen Euro reiche nicht aus, erklärte unlängst Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Es soll auch für den Landkreis Geld geben, aber wie viel und vor allem wann, das ist alles längst noch nicht klar. "Wir haben noch keine Förderrichtlinien, wir wissen das auch nur aus Pressemitteilungen", sagt Wanninger.

Genau das ist der Punkt, an dem es für Gottfried Obermair, Kreisrat der Freien Wähler und Referent für Technische Hilfe und Feuerwehren im Landkreis, kritisch wird: "Es ist allerlei Aktionismus dabei", sagt er und fragt sich, warum gerade jetzt das Thema so aufgekocht wird, um sich die Frage gleich selbst zu beantworten: "Es ist den Wahlen geschuldet." Obermair weiß freilich auch, dass die Diskussion um die Alarmierung der Bevölkerung nach den Flutkatastrophen hochgekommen ist. Aber eine reine Alarmierung durch Sirenen sei nicht der richtige Weg.

Als Experte für diese Themen, kann Wanninger gut erklären, warum es mittlerweile so wenige Sirenen gibt. In den Neunzigerjahren habe der Bund damit begonnen, aus den Sirenen jene Steuergeräte auszubauen, mit denen laut und deutlich vor einem bevorstehenden Angriff aus der Luft oder mit ABC-Waffen gewarnt worden wäre. Solche Gefahren waren nicht mehr zu erwarten, nachdem sich Kohl und Gorbatschow die Hände gereicht hatten und die beiden Teile Deutschlands wiedervereint waren. Lediglich im Umfeld von Atomkraftwerken und in Betrieben, von denen eine Gefahr ausgehen könnte, war es bei der Dichte an Sirenen geblieben. "Solche Störfallbetriebe haben wir aber nicht im Landkreis", stellt Wanninger fest.

Sollte es zu einer größeren Lage kommen, sei es durch einen Brand, eine Explosion oder Überflutungen, dann kann der Landkreis auf drei mobile Sirenen mit angebauten Lautsprechern zurückgreifen. Die sind im Landkreis verteilt, eine zusätzliche Mobilsirene gehört der Stadt Fürstenfeldbruck. Sie könnte in einem engeren Umkreis des Ereignisses eingesetzt werden, "hat aber weder die Höhe noch die Reichweite".

Längst sind vor allem in den größeren Kommunen die Sirenen stumm. Anders als in den ländlichen Gemeinden, wo noch die Feuerwehr mit Sirenen alarmiert wird, werden Rettungskräfte in den Städten per Funk zum Einsatz aufgerufen. Bei mehr als 300 Einsätzen einer Stadt-Feuerwehr nur allzu verständlich. Der Sirenen-Alarmierung soll aber in Zukunft mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, weil man sich, wie der Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Armin Schuster, nach der Flutkatastrophe im Westen anmerkte, nicht allein auf digitale Systeme verlassen sollte. Sein Amt hat das Modulare Warnsystem namens Mowas entwickelt, das unter anderem die Warn-App "Nina" mit Nachrichten füttert. Und dem bayerischen Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zufolge ist eine "Warnung über alle Kanäle entscheidend".

Dass in einem Einsatzfall auch alle Kräfte erreicht werden und miteinander kommunizieren können, dafür ist vor Jahren mit viel Geld ein digitales Funknetz aufgebaut worden. Im Landkreis, sagt Bernd Wanninger, sei die Abdeckung nahezu vollständig, er kann sich lediglich vorstellen, dass bei Handsprechfunkgeräten das Netz an einzelnen Stellen nicht ausreichend sei. Viel entscheidender ist für ihn, dass die Masten für den Digitalfunk mit Strom versorgt werden müssen und im Falle eines Ausfalls dann mit Batterien betrieben werden. Die halten seines Wissens nach 48 Stunden. Zu kurz, um eine katastrophale Lage abarbeiten zu können. Lösungen sollen erst noch gefunden werden. Solche Informationen machen Obermair mehr Sorgen als die Sirenen-Diskussion. Er will nun nachhaken. Und für die Alarmierung der Bevölkerung hat er einen zwar alten, aber früher durchaus bewährten Vorschlag: Kirchenglocken. Das meint er ganz ernsthaft: "Die wären schon vorhanden."

© SZ vom 03.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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