Hilfsorganisation:Anwalt der Verbrechensopfer

Die Fürstenfeldbrucker Außenstelle des Weißen Rings, der am Wochenende sein 40-jähriges Bestehen feiert, betreut etwa 100 Geschädigte. Wegen der Nähe zu München haben die Helfer mehr zu tun als anderswo

Von Julia Bergmann, Fürstenfeldbruck

Etwa 100 Opferfälle betreut die Brucker Außenstelle des Weißen Rings pro Jahr. Eine Angabe, die mehr ist als nur nackte Zahl, denn hinter ihr verbergen sich die Geschichten derer, die Opfer von Straftaten wie Betrug, Körperverletzung, Vergewaltigung oder gar Mord wurden. Diese Geschichten sind der Stoff, aus dem die Welt gemacht ist, in der sich Charlotte Hofmann seit rund 20 Jahren bewegt. Sie hat vor zwei Jahrzehnten die Fürstenfeldbrucker Stelle mitgegründet und leitet sie seitdem. An diesem Samstag feiert die Dachorganisation des Weißen Rings ihr 40-jähriges Bestehen. Anlässlich dieses Termins blicken Charlotte Hofmann und ihr Mann Manfred, der sich ebenfalls bei der Hilfsorganisation engagiert, auf das bisher Erreichte zurück.

Verändert hat sich in den vergangenen Jahren vieles, auch die Deliktsarten wegen derer Opfer Unterstützung suchen. Besonders häufig seien mittlerweile Stalking-Fälle. "Das war in den ersten Jahren überhaupt kein Thema", erklärt Manfred Hofmann. Geändert hat sich das, als Stalking 2008 als Straftatbestand erfasst wurde. Genaue Zahlen kann Hofmann nicht nennen, die Opferfälle werden so genau beim Weißen Ring nicht erfasst.

Aus ihrer Erfahrung aber können Charlotte und Manfred Hofmann sagen, dass es noch eine weiteren Anstieg gegeben hat. Immer mehr Opfer von häuslicher Gewalt, hauptsächlich Frauen, melden sich bei ihnen. "Es wird mehr angezeigt als früher", sagt die ehemalige Kriminalhauptkommissarin. Auch hier ist das nur möglich, weil 2002 das Gewaltschutzgesetz in Kraft getreten war. Damit gab es nicht nur mehr Möglichkeiten, gewalttätigen Ehepartnern Einhalt zu gebieten, auch das Bewusstsein der Bevölkerung und der Opfer änderte sich. Gewalt in der Ehe werde heute nicht mehr so oft wie früher "einfach hingenommen", sagt Hofmann. "Es ist also nicht so, dass wir in Deutschland plötzlich ein Problem mit der Familie hätten", fügt ihr Mann in Bezug auf die vermeintlich angestiegene Zahl der Taten hinzu.

Kriminalstatistik - Wohnungseinbruch

Mit den Folgen eines Verbrechens bleiben viele Betroffene alleine.

(Foto: Nicolas Armer/dpa)

Im Landkreis gebe es aber keine Häufung spezieller Straftaten. "Auch nicht im Zusammenhang mit Asylbewerbern", betont Manfred Hofmann. Was die Arbeit des Weißen Rings im Landkreis aber schon beeinflusst, sei die Nähe zu München. Anders als bei der Polizei spielt es für die ehrenamtliche Mitarbeiter keine Rolle, wo eine Straftat passiert ist. "Die Taten werden zu einem gewissen Prozentsatz in München begangen, die Opfer aber wohnen in Fürstenfeldbruck und damit sind wir überproportional belastet", erklärt Manfred Hofmann. "Dazu haben wir natürlich noch eine relativ hohe Bevölkerungsdichte im Vergleich zu ländlicheren Regionen." Aber natürlich ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch die Zahl der Mitarbeiter in der Außenstelle gestiegen. Begonnen hat es mit zwei Personen, heute kümmern sich zehn Ehrenamtliche um die Sorgen der Opfer.

Geändert haben sich in den vergangenen Jahren auch die Inhalte der Schulungen und Fortbildungen der Mitarbeiter. Die Bandbreite der Themen reicht vom Umgang mit traumatisierten Kindern über den Umgang mit islamischen Glaubensangehörigen bis hin zu Ausländern als Opfer. Momentan stehen auch die Themen Amokläufe, Attentate und Anschläge auf der Agenda der Helfer. "Wir müssen aktuell bleiben", sagt Charlotte Hofmann. Sie betont aber auch, dass für den Weißen Ring in erster Linie die Hilfe für die Opfer im Vordergrund steht, nicht das Delikt. "In dieser Hinsicht unterscheiden wir nicht, ob jemand Opfer eines Amoklaufs oder eines Anschlags ist."

Weisser Ring

Charlotte und Manfred Hofmann (rechts) vom Weissen Ring wollen im Brucker Landkreis Opfern von Verbrechen helfen.

(Foto: Günther Reger)

Wer sich beim Weißen Ring meldet, das sei sehr unterschiedlich, sagt Charlotte Hofmann. "Opfer einer Straftat kann jeder werden." Ältere Menschen werden öfter Opfer von Betrugsdelikten oder Handtaschenraub. Kinder hingegen öfter von sexuellem Missbrauch oder Misshandlungen. Frauen erleben häufiger häusliche oder sexuelle Gewalt und Männer sind mehr in Schlägereien und Überfalle verwickelt. Der größere Teil derer, die Hilfe bei der Organisation suchen, sei aber weiblich, fügt sie hinzu.

Helfen können die Mitarbeiter des Weißen Rings auf viele verschiedene Arten. Manchmal gehe es den Opfern in erster Linie darum, einen Gesprächspartner zu finden, dem sie ihre Geschichte erzählen können. Andere Menschen brauchen Hilfe bei Behördengängen, Begleitung und Unterstützung bei Zeugenaussagen vor der Polizei oder vor Gericht. Und natürlich vermitteln die Ehrenamtlichen, wenn nötig, auch an andere Fachleute weiter. Etwa an Rechtsanwälte oder Psychologen. Dafür gibt es Beratungsschecks. "Wir sind keine ausgebildeten Psychotherapeuten. Wenn wir merken, es bietet sich an, haben wir die Möglichkeit, für die Erstberatung einen solchen Scheck zu übergeben. Und dann gibt es auch Fälle, in denen die Mitarbeiter unbürokratisch finanzielle Soforthilfe leisten können. Etwa wenn jemand überfallen wird und kein Geld für das Zugticket zurück nach Hause hat.

Insgesamt hat die Brucker Außenstelle im vergangenen Jahr 6000 Euro für die Opferhilfe bereit gestellt. Sie finanziert sich durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und gerichtlich verhängte Bußen. Staatlich gefördert wird der Weiße Ring nicht. Eine Besonderheit der Organisation ist auch, dass sie als Verein operiert und damit einen klaren Vorteil hat. In anderen Ländern übernehmen oft Behörden die Aufgabe der Opferhilfe. "Der Vorteil bei uns ist, dass unsere Mitarbeiter alle verschiedene Berufe ausüben. Wir haben etwa Ärzte, Rechtsanwälte, Polizisten oder Mediatoren. Das heißt, sie decken gemeinsam ein sehr breites Spektrum an Vorkenntnissen ab", sagt Manfred Hofmann. Seine Frau fügt hinzu: "Eine Behörde ist außerdem nur zu festen Bürozeiten geöffnet. Wir sind rund um die Uhr da." Wichtig ist den beiden aber, dass in einem konkreten Notfall immer die Polizei verständigt werden muss.

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