Krieg in der Ukraine:Die Not in den Ställen

Krieg in der Ukraine: Benedicte Fischer mit ihrem bayerischen Warmblut Siziliano Va Bene. Die Allingerin will Reitern und Pferden in der Ukraine helfen.

Benedicte Fischer mit ihrem bayerischen Warmblut Siziliano Va Bene. Die Allingerin will Reitern und Pferden in der Ukraine helfen.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Pferdebesitzer in der Ukraine wollen ihre Tiere nicht im Stich lassen. 35 Reiter sind beim Versuch getötet worden, Rumänien zu erreichen. Andere lassen ihre Tiere frei. Eine Hofbesitzerin aus Alling versucht vom Landkreis aus zu helfen.

Von Isabel Strathmann, Alling

Ihre Verzweiflung muss groß gewesen sein, denn sie wollten vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, aber ihre Pferde nicht zurücklassen. Anfang März haben sich daher nach Angaben der Hilfsorganisation Equiwent 35 ukrainische Reiterinnen und Reiter mit ihren Pferden auf den Weg nach Rumänien gemacht. Dort sollten sie aufgenommen werden. Die Hilfsaktion war bereits angelaufen. Doch Menschen und Pferde kamen nie bis zur Grenze. Sie wurden, wie Equiwent berichtet, bei einem Raketenangriff getötet.

Einen anderen Weg der Verzweiflung wählte Julia Molokova aus der Stadt Irpin nahe Kiew. Sie ließ ihre Pferde frei, nachdem neben dem Stall eine Bombe eingeschlagen hatte. Die Tiere sollten nicht getötet werden. Ihr Facebook-Post ging viral.

Benedicte Fischer, Besitzerin des Hofguts Holzhausen in Alling steht in Kontakt mit Pferdebesitzern aus der Ukraine, die unter anderem in oder nahe der Städte Kiew und Odessa leben. "Im Reitsport kennt man sich", sagt sie. Da wisse man, wer bei Turnieren für die Länder reitet und habe Kontakt über Facebook. Ständig erreichen sie Nachrichten über Messanger-Dienste, klingelt das Telefon. Einerseits melden sich Bekannte aus dem Landkreis und darüber hinaus, die helfen wollen. Andererseits erhält sie Nachrichten von Menschen, die in Kontakt mit Pferdebesitzern in der Ukraine stehen oder von diesen selbst.

Die Not in den Ställen seien groß, berichtet Fischer: Die Menschen kämen nicht an ihr Geld, die Futterkosten seien immens hoch, sofern es überhaupt noch Futter gebe, es fehle an Medikamenten. "Die Pferde werden freigelassen, weil man sie nicht mehr versorgen kann", berichtet Fischer. Einige Menschen hätten ihre Tiere in den Stallungen zurückgelassen, sodass diese wohl verdursten und verhungern müssten, erzählt sie. Was man über die Medien mitbekomme, sei schlimm. Aber wenn man im direkten Kontakt stehe, sei es noch schlimmer. "Das geht einem schon sehr nahe."

Pferde aus dem Land zu bekommen, sei aktuell nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Turnierpferde hätten oft die nötigen Papiere, doch für Freizeitpferde seien diese kaum zu bekommen. Zudem sind es von Kiew mehrere hundert Kilometer bis zur nächsten sicheren Grenze. Hofbesitzer mit mehreren Pferden könnten das nicht bewältigen. Dazu kämen Kosten von 10000 bis 12000 Euro pro Pferd, wenn man denn jemanden finde, der noch Transporte fahre. Aber auch Fahrten mit Anhängern mit nur ein oder zwei Tieren seien gefährlich. Denn die Regionen sind umkämpft, es wird scharf geschossen. Wenn die Flucht in die EU gelinge, müssten die Vierbeiner anschließend 21 Tage in Quarantäne, bevor sie untergebracht werden könnten. Die Reiter selbst hätten kaum eine Perspektive.

Fischer ist im Reitsport groß geworden und versteht die Not der Pferdebesitzer, die nicht ohne ihre Tiere fliehen wollen. Deshalb organisiert sie Angebote, um vor Ort, für die Flucht und für die Zeit danach Unterstützung zu bieten. Denn dass die Hilfe von großen Organisationen wie der ukrainischen Equestrian Federation Charity Foundation bei allen ankommt, sei nicht sicher, habe sie von ihren Kontakten in den Kriegsgebieten erfahren. Fischer baut daher ein Netzwerk in Polen und der Ukraine auf, um Hilfsmittel wie Futter und Medikamente über die Grenze hinaus transportieren zu können. So will sie vermeiden, dass Spenden von Geschäftemachern weiterverkauft werden. Wenn eine Kette existiert, soll auf dem Rückweg auch Reitern und Pferden zur Flucht verholfen werden.

Fischer schafft bereits Quarantäneplätze und Unterkunftsmöglichkeiten. "Je mehr das unterstützen, desto effektiver können wir arbeiten", sagt sie. In der Facebook-Gruppe "Reiter helfen Reitern ... direkt ankommen, wo es dringend nötig ist!" tauschen sich fast 600 Mitglieder aus, die Boxenplätze und Schlafplätze für die Reiter anbieten sowie Hilfsgüter spenden. Auch der Transport nach Deutschland wird organisiert.

Die Versorgung für Mensch und Tier soll auch mittelfristig sichergestellt werden. "Man muss auch ans Übermorgen denken", sagt Fischer. Ihre Hoffnung: Dass sich weitere Reiter aus dem Landkreis melden, die mit Boxen, Futterspenden, Wohnmöglichkeiten oder anderen Dingen helfen. Denn solche Aussichten gäben den ukrainischen Reitern, die aktuell im Kugelhagel und ohne Versorgungsmittel nicht wüssten, ob sie die nächsten Tage überleben, Sicherheit und eine Perspektive.

Eine Familie hat es über die Kontakte nach Alling geschafft, allerdings ohne Pferd. Fischer will auch anderen Flüchtlingen helfen. Auf ihrem Hofgut und dem einer Bekannten soll ein Tag für Kinder und Mütter organisiert werden, damit sie "einfach mal Spaß haben" können. Hüpfburg, Lamas und Ponyreiten sollen helfen, "eine Auszeit zu geben" von Sorgen und Ängsten. "Vielleicht gibt es auch Leute im Landkreis, die das unterstützen können" - egal ob mit einer Hüpfburg, einem Crêpe-Stand oder sonstigem. Wer helfen möchte, kann sich in der Facebook-Gruppe oder bei Benedicte Fischer unter Telefon 0172/9040098 melden.

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