Hilfe für Kinder in Not:Weggenommen

Hilfe für Kinder in Not: Wenn Kindern Gewalt angetan wird oder sie vernachlässigt werden, schreitet das Jugendamt ein.

Wenn Kindern Gewalt angetan wird oder sie vernachlässigt werden, schreitet das Jugendamt ein.

(Foto: Mauritius)

60 Mal hat das Brucker Jugendamt vernachlässigte oder misshandelte Kinder im vergangenen Jahr aus Familien geholt. Für eine Übergangszeit kommen diese zu Bereitschaftspflegeeltern

Von Katharina Knaut, Fürstenfeldbruck

Vernachlässigt, misshandelt - immer dann, wenn dieser Verdacht im Raum steht, muss das Jugendamt reagieren. Annähernd 100 Anfragen hat das Amt für Jugend und Familie am Landratsamt Fürstenfeldbruck im Jahr 2016 erhalten, in allen Anfragen wurde der Verdacht auf Vernachlässigung oder Misshandlung von Kindern geäußert. Zwar bestätigte sich in manchen Fällen der Verdacht nicht, doch mehr als 60 Mal wurden Kinder physisch oder psychisch misshandelt oder so sehr vernachlässigt, dass das Jugendamt sie aus den Familien holte. Doch wohin kommt das traumatisierte Kind?

Es sind die Bereitschaftspflegeeltern des Landkreises. Sie nehmen die betroffenen Kinder auf, so lange, bis sich die Situation zumindest vorläufig geklärt hat. "Bereitschaftspflegeeltern müssen sehr flexibel sein", meint Diane Ziegert. Sie ist beim Landratsamt zuständig für jegliche Form des Pflegekinderwesens. "Ergibt sich eine Notsituation, rufen wir sie ad hoc an und erklären, dass innerhalb der nächsten Stunden ein Pflegekind kommt."

Eine Notsituation, das bedeutet für Ziegert, dass der Kindergarten oder die Schule anruft, weil ein Kind wiederholt verdächtige blaue Flecken aufweist. Oder wenn eine alleinerziehende Mutter inhaftiert wird. "Eben wenn die Krise so massiv ist, dass man die Situation so nicht lassen kann."

Tritt so ein Fall ein, muss alles schnell gehen. Die Pflegeeltern übernehmen kurzfristig die Aufgabe der primären Versorgung und erhalten den Alltag der Kinder so weit wie möglich aufrecht. Sie haben kein Sorgerecht, aber sie schicken sie in die Schule oder in den Kindergarten, versorgen Kleinkinder daheim und fahren sie bei einer Grippe zum Arzt.

Bereitschaftspflegevater oder -mutter zu sein, bedeutet aber noch mehr. "Sie fangen die erste Wut und Trauer auf", meint Ziegert. "Für Kinder ist das oft eine sehr schwierige Situation. Sie werden von jetzt auf gleich aus ihrem Umfeld gerissen. Die problematische Lage daheim ist für sie Alltag." Manche reagieren zunächst schüchtern und zurückhaltend, andere froh, wieder andere weinen. "Eltern bleiben eben Eltern."

Auffälligkeiten werden von den Pflegeeltern dokumentiert. Zeigt sich ein Kind besonders aggressiv, muss eine andere Lösung gefunden werden, vor allem, wenn die eigenen Kinder dadurch in Gefahr geraten. "Nicht jedes Kind passt in jede Pflegefamilie", so Ziegert. Um solchen Situationen vorauszugreifen, kann man bei der Bewerbung, die vor der Tätigkeit als Bereitschaftspflegeeltern einzureichen ist, angeben, welche Kinder man bevorzugt aufnehmen würde. "Manche haben lieber kleinere Kinder, weil die eigenen noch jünger sind. Andere nehmen nur Jugendliche." Die eigene familiäre Situation spiele dabei eine große Rolle. "In der Regel sollten die eigenen Kinder älter sein, sodass ein gewisser Abstand besteht."

Möchte man sich als Bereitschaftspflegeeltern betätigen, muss auch immer eine Ansprechperson vorhanden sein. "Wenn beide voll berufstätig sind, geht das nicht," so Ziegert. Auch die Lebensumstände müssten offengelegt werden, wie die häusliche Situation und die Motivation für das Ehrenamt. Außerdem führt das Jugendamt ein Beratungsgespräch und gibt seine Einschätzung der betreffenden Personen ab, die ihrerseits eine Selbsteinschätzung äußern müssen. Fällt das Urteil des Landratsamtes positiv aus, werden die Bereitschaftspflegeeltern in einer Kartei gelistet. Entsteht eine Notsituation, werden diese Eltern je nach ihren zuvor gemachten Angaben kontaktiert.

Insgesamt 15 Bereitschaftspflegeeltern gibt es im Landkreis. "Wir sind ganz gut aufgestellt", meint Ziegert. Dennoch sucht das Jugendamt ständig nach neuen Bewerbern. "Es fallen immer wieder einige aus, beispielsweise wegen der eigenen familiären Situation oder wenn jemand in Rente geht". Dazu komme, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Anfragen und Notsituationen gestiegen sei. "Das Thema ist populärer, und die Gesellschaft reagiert sensibler darauf," berichtet Ziegert. Kurz vor den Sommerferien und kurz vor Weihnachten würden besonders viele Anfragen das Jugendamt erreichen. "In der Zeit gibt es wahrscheinlich besonders viel Stress. Und vor den Sommerferien kommen die Zeugnisse."

Man schaue auch immer, ob man die Situation nicht anders lösen könne. Erst wenn es keine andere Möglichkeit gibt, kommt das Kind zu Bereitschaftspflegeeltern. Aber nur für höchstens 60 Tage. In dieser Zeit muss eine Lösung gefunden werden. In den besten Fällen kehren die Kinder in ihre Familien zurück. Die echten Eltern werden sogar beraten oder psychologisch unterstützt. Geht das nicht, gibt es einige andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel eine dauerhafte Pflegefamilie oder eine Einrichtung.

Wie es mit den Kindern weitergeht, erfahren die Bereitschaftspflegeeltern nicht. Das Kind in die eigene Familie aufzunehmen und dann auch wieder loslassen zu können, sei eine wichtige Eigenschaft von Bereitschaftspflegeeltern, so Ziegert. "Es kommt aber immer wieder vor, dass die Kinder mit den Bereitschaftspflegeeltern in Kontakt bleiben. Sie dienen ihnen als Anker."

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