Maisach :Fast jeder Zehnte mit Auffälligkeiten am Herz

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Manfred May mit dem Foto seines 2022 verstorbenen Sohnes Nicolas und Schirmherr Max von Thun. (Foto: Johannes Simon)

Nicolas-May-Stiftung bietet Schülern kardiologischen Check an. Die ersten Ergebnisse wertet die Gesundheitsministerin als Ansporn.

Von Ariane Lindenbach, Maisach

Etwa zehn Prozent der untersuchten Realschülerinnen und -schüler aus Maisach und der benachbarten Mittelschule zeigen Auffälligkeiten am Herzen, die einer weiteren Abklärung bedürfen. Dieses vorläufige Ergebnis der Orlando-di-Lasso-Herzwochen ist am Mittwochvormittag in Anwesenheit der bayerischen Gesundheitsministerin Judith Gerlach und dem Schauspieler und Kinderbuchautor Max von Thun als Schirmherr vorgestellt worden. Initiator der Aktion ist die Nicolas-May-Stiftung. Sie will erreichen, dass eine kostenlose kardiologische Untersuchung von Kindern Standard wird.

„Ich konnte meinem Sohn nicht das Leben retten, weil ich nicht wusste, wie krank sein kleines Herz war“, erklärt Manfred May. Der Fürstenfeldbrucker durchleidet, was man keinem Menschen wünscht. Sein Sohn Nicolas, Realschüler in Maisach, sportlich und beliebt, starb Anfang 2022 völlig unerwartet mit 14 Jahren am plötzlichen Herztod. Mit dem Leiter der Kinderkardiologie am LMU-Klinikum Großhadern, Nikolaus Haas, gründete der frühere Besitzer des „Trachtenwahnsinns“ in Germering die nach seinem Sohn benannte Stiftung; sie soll auch aufklären und für das Thema Herzgesundheit sensibilisieren.

Im April gibt es im Schulhaus eine Treppenhaus-Challenge, um den Puls in die Höhe zu treiben. (Foto: Johannes Simon)

Vor allem sollen die freiwilligen Untersuchungen weitere Daten zur Herzgesundheit junger Menschen liefern. „Wir brauchen belastbare Zahlen“, erläutert Haas. Und unterstreicht mit Blick auf das Projekt: „Das hat es in Deutschland noch nicht gegeben.“ Der Kardiologe will in den nächsten Jahren mindestens 5000 junge Menschen untersuchen lassen. Bis Ende des Jahres sind weitere Aktionen an den Mittelschulen in Fürstenfeldbruck und Oberhaching mit jeweils etwa 250 Personen in Planung.

Wie Haas betont, ist das ganze Projekt sehr aufwendig und kostenintensiv. Allein die Vorbereitung nahm sechs Monate in Anspruch. Spenden wurden gesammelt (im Vorjahr mehr als 70 000 Euro), Arbeitskräfte und medizinische Geräte beschafft, und die Genehmigung von der Ethikkommission eingeholt. Die jetzt gesammelten anonymisierten Daten von 950 Schülerinnen und Schülern sind noch nicht vollständig ausgewertet. „85 haben einen Befund, der kontrollbedürftig ist“, sagt der Kinderkardiologe. Etwa ein Drittel davon dürfte harmlos sein, ein weiteres aber gravierend. Bei zwei Untersuchten wurden Herzrhythmusstörungen entdeckt, bei vier Auffälligkeiten an der Herzmuskulatur. Wenn den Betroffenen ihr Zustand bewusst ist und sie ihren Lebensstil entsprechend anpassen, „kann man damit auch 90 Jahre alt werden“, sagt der Mediziner.

Die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach. (Foto: Johannes Simon)

„Die ganze Schulgemeinschaft hat das Projekt mitgetragen“, berichtet Doris Lux. Wie die Schulleiterin hervorhebt, wollten viele Schüler mit ihrer Teilnahme an der Untersuchung ein Zeichen setzen mit Blick auf den schrecklichen Tod von Nicolas. Ähnlich wie es Manfred May mit dem Projekt nun tut. Wenn er mit seinem Wirken nur einem jungen Menschen vor einem zu frühen Tod bewahren könne, dann habe er etwas bewirkt, lautet sein Credo. Ein großes Porträtfoto in schwarz-weiß erinnert an den 14-Jährigen. Und als May an der Reihe ist mit seiner Ansprache, erklingt ein Lied, das Nicolas ihm als 13-Jähriger geschrieben hat: „Danke Baba, dass Du immer für mich da warst. Danke Baba, dass Du alles für mich getan hast“, lauten zwei Zeilen daraus.

Für junge Menschen sei es „ungeheuer wichtig, darüber zu sprechen“, sagt Judith Gerlach

An der Maisacher Realschule ist Nicolas’ Schicksal kein Einzelfall; 2020 verstarb ein Bub mit elf Jahren, und erst kürzlich ein Schüler der neunten Jahrgangsstufe. Zur Bewältigung solcher Erlebnisse ist nach Lux’ Worten die Hilfe durch das Gröbenzeller Kriseninterventionsteam „existenziell“. Womöglich trägt auch das Bewusstsein um die Zerbrechlichkeit eines Lebens dazu bei, dass das Projekt von Schule und Schülern so viel Unterstützung erfährt. Das Sanitätsteam etwa half bei den Untersuchungen nach Kräften mit, unter anderem mit Puls messen.

„Meine Hoffnung heute ist, dass die Ministerin nicht nur schöne Worte spricht, sondern das der Anfang der U-Untersuchung ist“, erklärt Bürgermeister Hans Seidl (CSU). „Ich glaube, dass es vor allem um Sensibilisierung geht“, ergänzt Benjamin Miskowitsch (CSU). Der Landtagsabgeordnete aus Mammendorf hat den Kontakt zwischen May und einigen Politikern hergestellt. Die Ministerin unterstreicht ebenfalls, „wie wichtig Sensibilisierung ist“ und dass die Untersuchungen „wertvolle Daten“ liefern. Konkrete Zusagen freilich kann die zweifache Mutter nicht machen. „Es geht vor allem um Aufklärung“, sagt Judith Gerlach – über die Bedeutung der Herzgesundheit. „Gerade bei jungen Menschen ist es ungeheuer wichtig, darüber zu sprechen.“

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