Hartz IV:Zahl der Anträge wächst stark

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Das Jobcenter in Fürstenfeldbruck ist derzeit nur per Brief, Telefon oder E-Mail zu erreichen. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Für die Personen, die wegen der Corona-Krise ohne Einkommen sind, gelten allerdings andere Regeln als für bisherige Leistungsbezieher

Von Karl-Wilhelm Götte, Fürstenfeldbruck

Die Corona-Krise ist auch beim Jobcenter Fürstenfeldbruck angekommen. Immer mehr Menschen reihen sich in die Gruppe der Hartz-IV-Bezieher ein. "Normalerweise haben wir monatlich hundert Neuanträge, mittlerweile sind es 150 pro Woche", teilt Jobcenter-Leiterin Claudia Baubkus mit. Die Neuzugänge aufgrund der Coronakrise, darunter ein "auffällig hoher Anteil an Solo-Selbständigen", wie Baubkus bestätigt, werden anders behandelt als die bisherigen Hartz-IV-Bezieher.

150 Neuanträge pro Woche, also das Sechsfache an Neuanträgen, bedeuten wöchentlich 150 sogenannte Bedarfsgemeinschaften. "Dahinter kann eine Person, aber auch ganze Familien mit mehreren Personen stehen", sagt Baubkus. Vor der Corona-Krise gab es Ende 2019 etwa 3600 Bedarfsgemeinschaften im Landkreis. Das Brucker Jobcenter in der Oskar-von-Miller-Straße ist seit gut einem Monat geschlossen. Doch so viel an Betreuung von Hartz-IV-Antragstellern gab es noch nie. Alle Neuanträge können postalisch, telefonisch oder elektronisch gestellt werden. Eine zusätzliche Hotline wurde geschaltet, E-Mail-Anfragen zu Neuanträgen würden taggleich zurückgerufen und erfasst, erklärt Baubkus. Der "Kurzantrag" kann über die Homepage des Jobcenters www.jobcenter-ffb.de ausgedruckt und ausgefüllt per Post geschickt werden. Auch bei der Kinderbetreuung von Alleinerziehenden gibt das Amt unter petra.pauli@jobcenter-ge.de oder Telefon 08141-6100-606 jetzt Hilfestellung.

Von einer persönlichen Meldung beim Jobcenter wird erstmals in dessen 15-jähriger Geschichte abgesehen. Ein Hartz-IV-Antrag kann zunächst auch mit einem Schreiben formlos gestellt werden. "Wir holen dann formal die Antragstellung nach", so Baubkus. Der vereinfachte Antrag ist nicht gerade viel kürzer als der alte. Ausgedruckt umfasst er fünf statt sechs Seiten bisher. Zudem sind ebenfalls diverse auszufüllende Anlagen und Unterlagen beizubringen, so dass an der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das den Jobcentern die Vorgaben macht, angekündigte "schnellen und unbürokratischen Hilfe" starke Zweifel bestehen. Alles in allem umfasst ein Antrag rund 40 Seiten - Ausfüllhilfen nicht mitgerechnet.

Neue Antragsteller von Hartz IV werden laut Baubkus anders als bisher nicht in Maßnahmen geschickt. Ihnen bleiben ein wenig zielführender PC-Kurs oder gar ein Bewerbungskurs erspart. Das hängt auch damit zusammen, dass die Bildungsträger geschlossen haben. Das Jobcenter stellt "digitale Seminare und telefonisches Coaching" auf freiwilliger Basis in Aussicht. Für Menschen mit Migrationshintergrund werden auch Online-Sprachkurse angeboten. Für die Altbezieher gibt es noch Qualifizierungsmaßnahmen, die durch die Bildungsträger automatisch in Online-Schulungen umgewandelt wurden, wie die Jobcenter-Chefin bestätigt.

Da derzeit keine Meldetermine stattfinden, gibt es auch keine sogenannten Meldeversäumnisse der Hartz-IV-Bezieher, die das Jobcenter mit einer bis zu 30-prozentigen Kürzung des derzeitigen Regelbedarfs von 432 Euro sanktionieren kann. Die "Eingliederungsvereinbarung", ein vom Jobcenter diktierter "Vertrag" mit den "Kunden", wie das Jobcenter sie nennt, wird jedoch weiter geführt. Sie enthält die persönliche Situation und das "weitere Vorgehen" mit einem Maßnahmenkatalog.

Seit dem 28. März sind mit dem Gesetz für den "erleichterten Zugang zu sozialer Sicherung" Neuregelungen für Hartz-IV-Bezieher in Kraft getreten. Die gelten rückwirkend zum 1. März und bis 30. Juni dieses Jahres. Ein wesentlicher Punkt ist die vorläufige Aussetzung der Vermögensprüfung, damit vor allem Solo-Selbständige nicht "aufgrund vorübergehender wirtschaftlicher Engpässe", wie das Arbeitsministerium es formuliert, "ihr Vermögen einsetzen". Doch Hartz IV wird bei Neuanträgen nicht gewährt, wenn der Antragsteller ein "erhebliches Vermögen" von mehr als 60 000 Euro besitzt. Dazu zählen Barmittel und sonstige liquide Mittel, wie zum Beispiel auf dem Girokonto und auf Sparbüchern. Auch Schmuck, Aktien und die kapitalisierte Lebensversicherung muss der Antragsteller angeben. Je 30 000 Euro kann jedes weitere Haushaltsmitglied an Vermögen haben. Da reiben sich die Altbezieher, für die die Linkspartei 200 Euro Corona-Zuschlag fordert, verwundert die Augen. Sie dürfen lediglich ein "Schonvermögen" von rund 10 000 Euro besitzen. Die Corona-Vermögenssonderregelung gilt für sechs Monate. "Danach müssen gegenüber dem Jobcenter wieder Angaben zum Vermögen und entsprechende Nachweise vorgelegt werden", erläutert Baubkus. Das bedeutet auch wieder die Einreichung lückenloser Kontoauszüge.

Auch bei den Kosten der Unterkunft schaut das Jobcenter erst wieder Anfang Oktober genau hin. Danach werden "Leistungsberechtigte mit unangemessenen Unterkunftskosten" aufgefordert, sich um eine Kostensenkung zu bemühen, also umzuziehen. Bei den Altbeziehern hat die Behörde wesentlich rigider zugepackt. Laut Antwort auf eine Anfrage der Linken im Bundestag müssen 9,9 Prozent der Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften im Landkreis durchschnittlich 164 Euro vom 432-Euro-Regelsatz für "unangemessene" Miete abzwacken. Das Brucker Jobcenter liegt damit deutschlandweit auf Platz fünf. Eine Corona-Ausnahme gibt es für sie nicht. Zudem haben oder hatten die Tafeln geschlossen. Dabei werden bald mehr Menschen "tafelreif" sein. Das Jobcenter erwartet bis Ende Mai weitere Hartz-IV-Zugänge auf dem Niveau von wöchentlich 150 Bedarfsgemeinschaften. Leben doch laut Landesamt für Statistik 13 703 Selbständige (Stand 2018) im Landkreis. Je nach wirtschaftlicher Entwicklung könnten bis zu 30 Prozent von ihnen in Hartz IV fallen, schätzt Baubkus.

© SZ vom 15.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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