Hans Well im Gespräch:"Demokratie braucht keine Demokrattler"

Protest gegen die Atompolitik: Hans Well von den Biermösl Blosn über unheilige Atom-Allianzen, warum der CSU die Wähler weglaufen - und wie er selbst politisch wurde.

B. Kruse und T. Dorfer

Grüner Pulli, Dreitagebart, die Frisur noch ein bisschen wuschelig. So sitzt Hans Well in der Küche seines Hauses in Türkenfeld bei Fürstenfeldbruck vor einer großen Tasse Tee. Er ist noch ein wenig müde. Zur Zeit hat der Textschreiber der Biermösl Blosn zahlreiche Auftritte, kommt spät nach Hause, steht früh auf, um zu proben. Und dann ist da noch ein ganz spezieller Auftritt, auf den er sich mit seinen Brüdern Michael und Christoph vorbereiten musste. Die Biermösl Blosn spielen am Samstag bei der Anti-Atomkraft-Demo in München. Auch ohne Konzert auf dem Odeonsplatz wäre Hans Well nach München gefahren. Denn der Protest gegen die Atomkraft begleitet den 57-Jährigen seit 25 Jahren. Schon bei den Demonstrationen gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf war Well aktiv. Damals stand er mit den Toten Hosen auf der Bühne.

Hans Well, Biermösel Blosn

Hans Well: "Atomgegner waren früher am Rand der Gesellschaft, aber inzwischen ist dieser Rand in der Mitte angekommen."

(Foto: ag, ddp)

sueddeutsche.de: Herr Well, der Ausstieg vom Atomausstieg treibt die Menschen auf die Straße. Am Wochenende wollen Tausende in München gegen die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke demonstrieren. Schon von 25 Jahren waren die Menschen in Wackersdorf auf der Straße. Viel geändert hat sich also nicht. Nimmt Politik die Wähler nicht ernst?

Hans Well: Politik tickt anders. Da gibt es zum Beispiel diese unheiligen Allianzen mit der Energiewirtschaft. Die Aufteilung der Gebiete unter den vier Großkonzernen ähnelt meiner Meinung nach mafiösen Strukturen. Die sind nach außen hin nicht immer sichtbar. Aber sie sind da und beeinflussen politische Entscheidungen. Deswegen hat sich Umweltminister Röttgen wohl auch gegen alle Ankündigungen letztendlich so "verbrüderlet".

sueddeutsche.de: Die Politik als Handlanger der Atomlobby - eine heftige Unterstellung.

Well: Kapital hat keine Moral und die Politik oft starke Bezüge zu Spenden, siehe Steuergeschenke an die Hoteliers. Es gibt aber auch Gott sei Dank Politiker, wie der Sepp Daxenberger einer war, der mir sehr fehlt.

sueddeutsche.de: Rot-Grün hat den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Erst Schwarz-Gelb hat das Gesetz rückgängig gemacht.

Well: Die Wähler hatten es in der Hand. Die schwarz-gelbe Regierung hat ihre Pläne ja auch vor der Wahl angekündigt. Das war keine Revolution, wie Kanzlerin Merkel behauptet, sondern eine Konterrevolution. Es ist offenbar zu wenig, wenn man zu Demonstrationen gegen die Atomkraft geht, am Wahlsonntag aber zu Hause bleibt.

sueddeutsche.de: In Bayern und im Bund wird aber so schnell nicht mehr gewählt.

Well: Trotzdem: Wenn am Samstag viele Leute in München auf die Straße gehen, wird das nicht einmal die CSU kaltlassen. Der Protest reicht tief in ihre Wählerschichten. Früher waren die Bauern gegen die Grünen und ihre "Ökospinnereien". Jetzt haben viele von ihnen Solaranlagen auf Dächern oder Äckern und sehen, wie der Stromzähler läuft. Und am Wahltag kommt es nicht alleine auf die Unterstützung der Wirtschaft, sondern auf die Wählerstimmen an.

sueddeutsche.de: Hätte die CSU an den viel zitierten Stammtischen besser zuhören müssen?

Well: Die CSU scheint schon sehr überrascht zu sein, dass auch ihre Klientel jetzt auf die Straße geht. Lange hat die Partei vielen Konservativen eine politische Heimat gegeben. Die fühlen sich zunehmend heimatlos, wenn sie statt Bierfässern verrostete Atom-Fassl mit bayerischem Atommüll aus der Asse sehen. Mehr Ökostrom durch mehr Atom, da fühlen sich viele verarscht!

"Arschkriecherei ist das Gegenteil von Revolution"

sueddeutsche.de: Auch in anderen Volksparteien fühlen sich viele Wähler nicht mehr wohl. Was muss sich verändern, damit Demokratie wieder attraktiv wird?

Well: Ein Volksentscheid auf Bundesebene wäre eine Möglichkeit.

sueddeutsche.de: Aber wenn man in die Schweiz schaut, dann sieht man: Volksbegehren bringen nicht immer nur Positives.

Well: Richtig. Doch trotz aller Risiken überwiegen die Vorteile. Eine Demokratie braucht Demokraten und keine Demokrattler. Es ist gefährlicher, wenn der Bevölkerung alles wurscht ist. Eigentlich ist es doch gut, wenn Wähler sich engagieren.

sueddeutsche.de: In Stuttgart scheint das ja derzeit zu gelingen.

Well: Genau. CDU und FDP liegen granatenmäßig daneben, wenn sie glauben, dass es sich bei den Gegnern von Stuttgart 21 nur um Berufsprotestler handelt. Da demonstrieren Leute, die sonst FDP und CDU wählen. Offenbar ist die viel zitierte schwäbische Hausfrau der Meinung, dass hier Geld buchstäblich versenkt wird. Wir spielen oft im Schwäbischen und kriegen die Stimmung gegen Stuttgart 21 seit Jahren mit.

sueddeutsche.de: Können Sie sich vorstellen, dass das ganze Projekt noch kippt?

Well: Ich bin überzeugt davon. Und zwar spätestens bei der Landtagswahl im März 2011. Es macht sich auch nicht gut, wenn man die eigene Wählerschaft verprügelt. Viele Menschen fühlen sich verarscht. Wie damals in Wackersdorf oder jetzt beim Ausstieg vom Atomausstieg.

sueddeutsche.de: In Wackersdorf wollte Franz Josef Strauß gegen den Willen der Bevölkerung eine Wiederaufbereitungsanlage in den Wald bauen. Und noch immer erhitzt die Atomfrage die Gemüter. Kann Protest überhaupt Realitäten verändern?

Well: Vergessen Sie nicht, es gibt auch in den konservativen Parteien Gegner der Laufzeitverlängerung. Der Atomgegnerkreis hat sich erweitert. Inzwischen sind manche CSU-Kommunalpolitiker viel engagierter bezüglich erneuerbarer Energien als ihre Regierung. Die Landshuter CSU will Ohu abschalten! Auch innerhalb der CSU tut sich was.

sueddeutsche.de: Sie glauben also noch an die energiepolitische Revolution in Bayern?

Well: Arschkriecherei bei der Atomlobby und Laufzeitverlängerungen ist jedenfalls das Gegenteil von Revolution.

sueddeutsche.de: Sie engagieren sich bei vielen Protesten. Was gab für Sie den Ausschlag, sich politisch zu engagieren?

Well: Ich komme aus einer eher konservativen Familie mit 14 Geschwistern und war lange eher unpolitisch. Das änderte sich spätestens 1980. Damals sorgten wir mit unserem Baywa-Lied im Bayerischen Fernsehen für einen Eklat. Dass wir daraufhin in diesem öffentlich-rechtlichen Medium auf Druck einer Partei zehn Jahre lang nicht mehr vorkamen, war für mich ein Schlüsselerlebnis.

sueddeutsche.de: Von Herbert Achternbusch stammt das Zitat "Du hast keine Chance, also nutze sie." Ein Motto für die Atomkraftgegner von heute?

Well: Auf jeden Fall. Atomgegner waren früher am Rand der Gesellschaft, aber inzwischen ist dieser Rand in der Mitte angekommen.

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