Süddeutsche Zeitung

Hamburger Lyrikpreis:Im Fluss der inneren Monologe

Seit einigen Jahren schreibt die Gröbenzellerin Pega Mund Gedichte. Angefangen hat alles mit einem Blog, den sie nach dem tragischen Tod ihrer Tochter angelegt hat. Nun ist die 57-Jährige für den erstmals vergebenen Gertrud-Kolmar-Preis nominiert

Von Valentina Finger, Gröbenzell

Es gibt ein Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff, das Pega Mund sehr geprägt hat. In "Am Turme", geschrieben 1842, schildert das weibliche lyrische Ich sein im Wind flatterndes Haar als Metapher eines Lebens, frei von den strengen Geschlechterkonventionen der Biedermeierzeit. "In diesem Text kommt das Bedürfnis durch: Ich will Luft, ich will atmen und ich weiß, wie ich das ausdrücke", sagt Mund, die in ihren eigenen Gedichten innere Stimmen und Sehnsüchte festhält. Für ihre Lyrik wird Pega Mund an diesem Freitag ausgezeichnet: Mit zwei weiteren Dichterinnen ist die Gröbenzellerin für den Gertrud-Kolmar-Preis nominiert, der dieses Jahr zum ersten Mal verliehen wird.

Der von der Literatin Julietta Fix ins Leben gerufene Preis richtet sich ausschließlich an Lyrikerinnen, um die Position von Frauen in diesem Bereich zu stärken. Mehr als 1000 Autorinnen haben sich beworben. Aus den drei Finalistinnen werden nun bei der Preisverleihung in Hamburg eine erste, eine zweite und eine Förderpreisträgerin ermittelt. Zusammen mit Pega Mund sind auch die beiden Münchner Schriftstellerinnen Ronya Othmann und Ulrike Draesner nominiert.

Fünf bislang unveröffentlichte Gedichttexte hat Mund mit ihrer Bewerbung eingereicht. Einer davon, in dem eine Autofahrt zum Sinnbild des Lebens wird, war ihr Ausgangstext. Auf je unterschiedliche Weisen stellen alle fünf Gedichte Fragen über das Menschsein. "Das war ein Versuch, Befindlichkeiten aus einem Innenraum zu schildern, die nichts mit logischem Denken zu tun haben", sagt Mund, deren Texte in den vergangenen fünf Jahren in diversen Literaturzeitschriften erschienen sind.

Um den Fluss dieser niedergeschriebenen inneren Monologe nicht zu stören, verwendet Mund nie Großbuchstaben. Sie wolle die Wirkung der Sprache nicht beeinflussen, indem sie bestimmte Worte gewichte, erklärt sie. Neben dem Schriftbild der Texte legt sie auch viel Wert auf die Wiedergabe derselben bei Lesungen. Dabei arbeitet sie mit Modulation, wechselnden Dynamiken und setzt seit einiger Zeit auch Fotos ein, die sie mit dem Handy aufnimmt. "Ich möchte mehrere Sinne ansprechen, bin dabei aber sehr vorsichtig", sagt sie. "Manchmal ist es besser, nur den Text zu geben."

Seit 2000 lebt Pega Mund mit ihrer Familie in Gröbenzell. Dort hat sie unter anderem bereits in drei Inszenierungen der Theatergruppe Tig mitgewirkt. Ihre Texte waren im März Teil einer Ausstellung im Bürgerhaus. Geboren ist die 57-Jährige allerdings in einem kleinen Dorf in Oberschwaben. Dort habe es strenge katholische Vorstellungen gegeben, zum Beispiel auch davon, wie ein Mädchen erzogen werden und sich verhalten soll, erinnert sie sich. Nach der Schule wollte sie weg von dort. Sie zog nach München, studierte Psychologie.

Kurz vor dem Abschluss wurde sie zum ersten Mal schwanger. Daraufhin arbeitete sie meist in beratender Funktion, bis sie vor zehn Jahren in ihrem jetzigen Beruf als Psychologin an einer Münchner Förderschule mit einer heilpädagogischen Tagesstätte ankam. Dort betreut sie Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien, die unter komplexen Entwicklungsstörungen oder Behinderungen auf geistiger und körperliche Ebene leiden. Viele Gefühle und Erlebnisse, die schönen wie auch die schmerzhaften, die Mund bei dieser Tätigkeit erfährt, fließen in ihre Texte hinein.

Den Ausschlag, zu schreiben, gab jedoch eine persönliche Tragödie. 2013 starb ihre mittlere Tochter, unerwartet, im Alter von 26 Jahren. Das war im August. Im Winter startete Mund dann einen Blog, auf dem sie fortan quasi öffentlich Tagebuch führte. "Ich habe damals angefangen, obsessiv zu schreiben", sagt sie. "Das war für mich eine Form, dieses Geschehen zu erfassen und zu bewältigen." Aus dieser Art des Gedankenaufschreibens wurde mit der Zeit literarisches Arbeiten und der Blog zu einer Publikationsplattform. Sie habe immer gerne Gedichte gelesen und gelegentlich auch selbst Dinge notiert, doch erst durch das Internet und das Eröffnen eines eigenen Facebook-Kontos im Jahr 2011 habe sich ihr die zeitgenössische Lyrik-Szene eröffnet, sagt Mund: "Plötzlich war mir alles zugänglich, was in der Gegenwart so passiert und quirlt. Ich war infiziert."

In München ging sie ins Lyrik-Kabinett, lernte viele Lyrikerinnen kennen und wurde selbst zu einer. Einladungen zu Lesungen haben sie mittlerweile schon nach Innsbruck, Berlin oder Leipzig geführt, Städte, die sie zuvor nie besucht hatte. Die virtuelle Mobilität durch das Internet wurde zu einer neuen Bewegtheit im echten Leben.

Eines gibt es von Pega Mund allerdings noch nicht: einen eigenen Lyrikband. Weil das Schreiben nicht ihr Hauptberuf ist, produziere sie sehr langsam, sagt sie: "Ich würde mir am liebsten einen achten Wochentag kaufen, um mir Freiraum zu schaffen, mal länger am Stück arbeiten zu können."

Ungeduldig ist sie nicht, manchmal müsse man einfach warten, sagt sie. Doch sollte Pega Mund beim Gertrud-Kolmar-Preis den ersten Platz belegen, könnte sie ihrem Ziel vielleicht etwas näher kommen. Denn die Erstplatzierte des insgesamt mit 16 500 Euro dotierten Preises erhält neben der Anerkennung auch noch 10 000 Euro.

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SZ vom 26.09.2019
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