Warum sollte sich eine Schule in einem Münchner Vorort um ein Land kümmern, das mehr als 7000 Kilometer entfernt liegt? Für den Schulleiter des Gröbenzeller Gymnasiums, Boris Hackl, ist die Antwort klar: Weil Solidarität nicht an einer Landesgrenzen endet. Wie überall im Leben gibt es auch im Internationalen Menschen, denen es gerade schlechter geht als anderen - wichtig sei, den „Blick für die Schwächeren“ nicht zu verlieren, sagt Hackl bei der Ausstellungseröffnung „20 Jahre Hilfe für Haiti am Gymnasium Gröbenzell“.
Der Inselstaat Haiti gehört zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Das Land in der Karibik gilt als Failed State - eine Nation, in der die Regierung nicht mehr in der Lage ist, grundlegende Staatsaufgaben zu erfüllen, erklärt Robert Heinze. Er ist der erste Vorstand des Vereins „Haiti Kinder-Hilfe“, mit dem das Gymnasium nun seit bereits 20 Jahren zusammenarbeitet. Seit der Ermordung des Präsidenten Jovenel Moïse im Jahr 2021 ist die Lage noch weiter eskaliert. Ungefähr 80 Prozent der Hauptstadt Port-au-Prince seien inzwischen von Banden kontrolliert. „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir jemals mit staatlichen Strukturen zusammengearbeitet haben“, sagt er. Heinze zeigt ein Bild von einem der dortigen Mädchenheime, dessen Außenwand komplett durchlöchert ist: „Das ist kein Fehler beim Bauen gewesen, das sind Einschusslöcher.“
Bildung als Rettungsanker
In dieser scheinbar hoffnungslosen Situation ist Bildung die einzige Chance auf Veränderung. Mit dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ konzentriere sich die „Haiti Kinder-Hilfe“ vor allem auf die Unterstützung von Schulen, Waisenhäusern und Ausbildungsprojekten. In Port-au-Prince fördere der Verein die Luzia-Akademie, eine Schule für alle Jahrgangsstufen. Zudem unterstütze man zwei Kinderhäuser der Lebensmission, erklärt Heinze. Ein weiteres wichtiges Projekt sei die Institution Notre Dame de la Médaille Miraculeuse in Cap-Haïtien, die sowohl eine Schule als auch ein Waisenhaus umfasst. Die Gründerin der Schule, Claudette Leconte, nimmt per Videobotschaft an der Ausstellungseröffnung teil und bedankt sich für die treue Unterstützung in den vergangenen Jahren. In einer Region mit hoher Analphabetenrate und niedrigem sozioökonomischem Niveau gelte es, die soziale Gerechtigkeit wiederherzustellen, so Leconte.

Das Besondere am Verein: 2023 betrugen die Verwaltungskosten lediglich 2,5 Prozent, sodass der Großteil der Spenden direkt in die Projekte flossen. „Wir können genau sagen, wo unser Geld hingeht. Es sind alles Projekte, wo wir die Menschen, die dahinter stehen, selbst kennen,“ betont Heinze. Das wird auch bei der Ausstellungseröffnung deutlich: Die Schwester von Claudette Leconte, Marie-Josée Franz, ist anwesend um auf die Verhältnisse vor Ort aufmerksam zu machen. „Ich laufe dort an Orten vorbei, wenn Schulzeit ist, und die Kinder leben im Dreck“, erläutert sie. Sie berichtet über die Gründung der Institution Notre Dame de la Médaille Miraculeuse, die 2001 mit 24 Kindern begann und heute 600 Schülerinnen und Schüler zählt. In Haiti seien fast alle Schulen privat, was den Zugang zu Bildung für die meisten Kinder sehr erschwere. Trotz der Krise blickt Franz nach vorn: „Es ist nicht alles hoffnungslos.“
20 Jahre Engagement: Ausstellung in der Aula
Wie tief das Gröbenzeller Gymnasium in die Haiti-Hilfe involviert ist, zeigt auch die Ausstellung, die aus Anlass des 20-jährigen Bestehens in der Aula der Schule präsentiert wird. Besucherinnen und Besucher bekommen dort Einblicke in das Leben der Patenkinder – durch persönliche Erfahrungsberichte und Fotos. Gröbenzeller Schüler aus verschiedenen Jahrgängen haben Plakate mitgestaltet, die sich unter anderem mit der Zukunft Haitis, politischen Führern, der Rolle Haitis in der Französischen Revolution und der aktuellen Bandenkriminalität befassen. Die Ausstellung macht nicht nur die Notlage des Landes deutlich, sondern gibt auch einen tiefen Einblick in politische Strukturen.
Über die Jahre mehr als 200.000 Euro gesammelt
Lehrerin Sonja Wanner hat das Haiti-Projekt am Gröbenzeller Gymnasium vor 20 Jahren ins Leben gerufen – und seitdem ist es zu einem festen Bestandteil der Schule geworden. Schulfamilie sei hier mehr als nur ein Wort, betont sie: „Für mich war Schule immer mehr, als nur Punkten hinterherzurennen – es geht auch darum, über den Tellerrand hinauszuschauen.“
Konkret bedeutet das: Benefizveranstaltungen, Spendenaktionen und Patenschaften. Der jährliche Adventsmarkt ist eine feste Institution, bei der Schülerinnen und Schüler durch den Verkauf von Selbstgemachtem Spenden für die Haiti-Hilfe sammeln. Außerdem beteiligt sich das Gymnasium an Bücherflohmärkten und organisiert verschiedene Sachspendenaktionen.
Ein weiterer guter Grund für den Einsatz: Selbstwirksamkeit erfahren, sagt Boris Hackl. Denn Engagement bedeute nicht nur, anderen zu helfen, sondern auch den eigenen Horizont zu erweitern. „Man macht sich viel Gedanken um Deutschland, um Europa – selten um alle Nationen der Welt.“ Doch genau das sei wichtig, um den Eurozentrismus zu überwinden. Dass ihr Einsatz einen Unterschied macht, sehen die Jugendlichen bei der Ausstellungseröffnung ganz konkret – etwa durch Dankesvideos der Patenkinder. So berichtet Rodson Bernadin, dass er dank der Unterstützung der Gröbenzeller Schüler und Schülerinnen heute Computer Engineering studiert. Dafür sei er zutiefst dankbar. „Eure Hilfe hat es mir ermöglicht, meinen eigenen Weg zu gehen“, sagt er in seiner Videobotschaft. Seit 2004 hat das Gymnasium über 200.000 Euro gesammelt – eine beeindruckende Summe, die zeigt, wie viel Wirkung die Unterstützung einer einzigen Schule am anderen Ende der Welt haben kann.