Süddeutsche Zeitung

Große Ehrung:Hartnäckiger Einsatz für Brasilien

Der Puchheimer Walter Ulbrich erhält das Bundesverdienstkreuz

Von Peter Bierl, Puchheim

Als junger Student begann Walter Ulbrich sich für eine andere Form der Entwicklungshilfe zu engagieren. Als Rentner wird er dafür mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Dazwischen liegt ein halbes Jahrhundert, in dem die Welt nicht besser geworden ist. Die Aufbruchsstimmung von damals sei nach der Wiedervereinigung und durch den Neoliberalismus verebbt, erzählt der 77-Jährige. Er setzt auf neuen Schwung durch Bewegungen wie Fridays for Future, die schnell begriffen hätten, dass Klimaschutz und Gerechtigkeit zusammenhängen.

Walter Ulbrich stammt aus Gablonz in der Tschechoslowakei, 1946 musste die Familie nach Westdeutschland übersiedeln. Er wuchs in Neugablonz bei Kaufbeuren auf und bekam zu spüren, dass die Flüchtlinge bei den Einheimischen im Allgäu alles andere als beliebt waren. Ulbrich absolvierte die Volksschule und studierte auf dem zweiten Bildungsweg in München am Polytechnikum Feinmechanik. Das Zweitstudium in Elektrotechnik schloss er an der damaligen Technischen Hochschule mit einer Promotion ab. 1970 zog er nach Puchheim, wo seien Frau bereits den Kindergarten leitete. Drei Kinder wurden in Puchheim groß, inzwischen hat das Paar auch vier Enkel.

Beide engagierten sich in der Pfarrei, er kam 1971 in den Pfarrgemeinderat. Die Bettelpredigt eines Franziskanerpaters aus Brasilien hatte Ulbrich so begeistert, dass er einen Arbeitskreis Dritte Welt mitbegründete. Für einen Friedensmarsch in Nürnberg sammelten er und andere Aktivisten ein Kilometergeld. Aus dem Kreis der Spender in Puchheim kam der erste Rückhalt für eine dauerhafte Unterstützung von Projekten des Franziskaners in der Gemeinde Campo Limpo in Sao Paulo.

Im Februar 1975 wurde der Verein Campo Limpo in Puchheim gegründet und Ulbrich wurde dessen Vorsitzender. Neben der konkreten Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort in Brasilien ging es immer auch um Aufklärungsarbeit vor Ort. In Jugendgottesdiensten und in der Messe am Sonntag wurden Fragen wie kritischer Konsum angesprochen, durchaus zur Entrüstung mancher Gläubiger, wie Ulbrich sich erinnert. Der Verein verlagerte seine Hilfe in den Nordosten Brasiliens, den ärmsten Teil des Landes, und konzentrierte sich auf die Unterstützung von Kleinbauern. Ulbrich verabschiedete sich 1985 aus dem Vorstand, um sich voll auf die Projekte vor Ort zu konzentrieren.

Zugunsten dieses Engagements verzichtete der Ingenieur auf eine weitere Karriere in der Forschungsabteilung von Siemens und übernahm eine Professur an der TU. 1987 wurde er erneut in den Vorstand von Campo Limpo gewählt, wo er sich um Öffentlichkeitsarbeit und politische Interventionen kümmerte. Zum 500. Jahrestag der europäischen Invasion in Amerika entstand bundesweit die Kampagne für eine Entschuldung der armen Länder und vor Ort in Puchheim wurde das Nord-Süd-Tor am Bahnhof aufgestellt.

Solche Kampagnen stellten in der Folge den Schwerpunkt von Ulbrichs Aktivitäten dar, etwa gegen die Hermesbürgschaften der Bundesrepublik für Atomkraftwerke in Brasilien oder das Erlassjahr 2000, das sich wiederum gegen die Verschuldung richtete. Auf lokaler Ebene war Ulbrich im Brucker Nord-Süd-Forum aktiv sowie später im Eine-Welt-Netzwerk Bayern, außerdem übernahm er 2006 den Vorsitz von Oiko-Kredit-Bayern, einem Förderkreis, der Mikrokredite für Menschen in Entwicklungsländer vergibt.

Den Gedanken, der sich bis auf Friedrich Wilhelm Raiffeisen zurückführen lässt, hatte Muhammad Yunnus aus Bangladesh wieder populär gemacht, der dafür 2006 den Friedensnobelpreis bekam. Allerdings ändern solche Kredite wenig an grundlegenden Strukturen. Auch mit Mikrokrediten initiierte Projekte müssen sich in der Konkurrenz behaupten. Sobald mehrere Frauen in einem Dorf anfangen, Körbe zu flechten, oder mehrere Männer ein Rikscha-Taxi anbieten, wird es schwierig, sobald ein Überangebot entsteht.

Ulbrich plädiert weiter für einen Welthandel, in dem es fairer und gerechter zugehen soll. Für diese Hartnäckigkeit erst im Pfarrgemeinderat, dann bei Campo Limpo wird er ausgezeichnet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat ihm das Bundesverdienstkreuz bereits im August 2020 verliehen, am Donnerstag überreicht ihm die bayerische Sozialministerin Carolina Trautner (CSU) die Auszeichnung in München.

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Quelle:
SZ vom 16.06.2021
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