Gröbenzell:Streitfall Barrierefreiheit

Eine Rollstuhlfahrerin mietet von der Gemeinde eine staatlich geförderte Wohnung. Die für ihre Bedürfnisse zu kleine Terrasse erweitert sie auf eigene Kosten. Die Kommune fordert nun den Rückbau

Von Ariane Lindenbach, Gröbenzell

Als die Gemeinde vor rund sieben Jahren die Sozialwohnungen an der Grünfinkenstraße baut, scheint Concetta Tatti das große Los gezogen zu haben. Die Gröbenzellerin ist wegen einer seltenen Autoimmunerkrankung seit ihrer Kindheit auf einen Rollstuhl angewiesen. In ihrer damaligen Wohnung an der Ammerseestraße im neunten Stock fällt häufig der Lift aus, sodass sie dort ständig ein- oder ausgesperrt wird. Im Herbst 2014 ist das staatlich geförderte Mehrfamilienhaus in der Grünfinkenstraße 14 bezugsfertig. Concetta Tatti bezieht als erste Mieterin eine barrierefreie Wohnung im Erdgeschoss, Terrasse inklusive.

Die Freude währt jedoch nicht lange. Im Frühjahr stellt die heute 44-Jährige fest, dass die Terrasse mit einem Rollstuhl nur eingeschränkt genutzt werden, im schlimmsten Fall sogar gefährlich für sie werden kann. Also lässt sie den Außenbereich auf eigene Kosten von einem Schreiner barrierefrei umbauen. Doch das gefällt der Gemeinde Gröbenzell nicht. Sie verlangt von Concetta Tatti den sofortigen Rückbau und verklagt die Rollstuhlfahrerin vor dem Zivilgericht. Der Streit dauert nun schon dreieinhalb Jahre, demnächst soll es ein Urteil geben. Eigentlich ist Concetta Tatti, die auch in Gröbenzell aufgewachsen ist, mit ihrer Zwei-Zimmer-Wohnung mehr als zufrieden. "Ich liebe diese Wohnung", erklärt die zierliche Frau mit den strahlenden braunen Auge aus tiefstem Herzen. Innen hat die Wohnung breitere Türstöcke, niedrigere Lichtschalter, sogar die Küchenfenster können per Knopfdruck gekippt werden. Und bei ihrem Einzug im Herbst fällt das Problem mit dem Außenbereich noch gar nicht auf. Im Frühjahr 2015 wird dann aber klar, dass die Terrasse für einen auf einen Rollstuhl angewiesenen Menschen nicht nur unpraktisch ist, sondern auch gefährlich sein kann.

Concetta Tatti

Den für ihren Rollstuhl viel zu kleinen Terrassenbereich hat die Gröbenzellerin vergrößert.

(Foto: Privat/oh)

Die Terrasse ist zwar mit 2,55 mal 1,80 Meter groß genug, um darauf einen Rollstuhl zu rangieren. Doch um diese gepflasterte, gut viereinhalb Quadratmeter große Fläche herum, die vor jeder der sieben Erdgeschosswohnungen angelegt wurde, ist entlang der gesamten Hausfront ein Kiesbett. Mit einem etwa 130 Kilo schweren Elektro-Rollstuhl, wie ihn die 44-Jährige benötigt, hat man sich darin ganz schnell festgefahren, wenn man versehentlich vom Pflaster abkommt. Und dann ist man auf Hilfe angewiesen. Zwei Mal ist Tatti das passiert, beide Male hatte sie glücklicherweise ihr Handy parat und konnte ihren Vater anrufen.

Die Gröbenzellerin fährt danach nicht mehr auf ihre Terrasse, sinnt nach Lösungen. Ein Schreiner schlägt ihr schließlich vor, über den Kies auf der gesamten Länge ihrer Wohnung Holzdielen zu verlegen. Der Gemeinde gegenüber klagt sie über die eingeschränkte Nutzung ihrer Terrasse und gibt den Vorschlag des Handwerkers weiter. Die Reaktion der zuständigen Sachbearbeiterin ist eindeutig, berichtet Tatti: Das gehe auf gar keinen Fall, wegen der staatlichen Förderung. Außerdem würde es das Gesamtbild stören und andere Mieter animieren, Ähnliches zu bauen. Und schließlich gehöre nur die Terrasse zur Wohnung, der Rest, Kies- und Rasenfläche, sei für die Gemeinschaft konzipiert.

Concetta Tatti

Eine Nachbarsterrasse im Ursprungszustand.

(Foto: Privat/oh)

Die Fronten sind verhärtet, Tatti lässt ihren Außenbereich rund um die Terrasse auf eigene Kosten für knapp 3000 Euro professionell mit Holzdielen verkleiden. Jetzt kann sie die Fläche vor ihrer Wohnung komplett nutzen. Bei ihrem Auszug kann alles wieder abgebaut werden, ohne Schäden zu hinterlassen. Doch der Mieterin fehlt das Einverständnis ihres Vermieters, der Gemeinde Gröbenzell, deren Bürgermeister damals noch Dieter Rubenbauer war. Da habe sie falsch gehandelt, räumt die 44-Jährige rückblickend ein.

Die Gemeinde zeigt für derlei eigenmächtiges Handeln kein Verständnis und verlangt den sofortigen Rückbau. Die Gröbenzellerin will dem aber nicht nachkommen. Sie nimmt sich einen Anwalt, die Gemeinde reagiert schließlich mit einer Klage auf Rückbau. Der Streit landet vor dem Zivilgericht in Fürstenfeldbruck.

Inzwischen gab es - neben diversen Gesprächen im Rathaus - eine Mediation und ein Güteverfahren; beides brachte keine Einigung, obwohl man der Gemeinde zum Beispiel einen Aufschlag auf die Miete angeboten hatte wegen des eigenmächtig vergrößerten Außenbereichs. Es gibt ein vom Gericht in Auftrag gegebenes Gutachten einer Architektin, sie ist vereidigte Sachverständige der Regierung von Oberbayern für barrierefreies und rollstuhlgerechtes Bauen und Wohnen. Es bestätigt, dass die Wohnung innen weitgehend barrierefrei ist, sogar nach DIN 18040-2, der Außenbereich aber nicht. Wortwörtlich heißt es "Ein Umbau war somit notwendig, damit die Beklagte die Terrasse ohne Gefährdung behindertengerecht nutzen konnte."

Concetta Tatti

Von der Seite gesehen mit dem kleinen Hang und der auf eigene Kosten umgebaute, jetzt komplett rollstuhlgerechte Außenbereich.

(Foto: Privat/oh)

"Nachdem wir das Gutachten in Händen hielten, dachte ich, jetzt haben wir gewonnen", berichtet Tattis Rechtsanwältin, Nicole Brabant. Zu ihrer Überraschung beharre die Gemeinde aber weiter auf einem Urteilsspruch. Die erfahrene Fachanwältin für Sozialrecht wundert sich über die fehlende Kompromissbereitschaft im Rathaus: "In der Konstellation habe ich das noch nicht erlebt."

Von der Gemeinde Gröbenzell wurde eine Stellungnahme zu der Auseinandersetzung für die nächsten Tage angekündigt.

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