Gröbenzell:Migration in der Steinzeit

BN Gröbenzell

Der ehemalige Kreisheimatpfleger Toni Drexler hält an diesem Dienstag in Gröbenzell einen Vortrag.

(Foto: Günther Reger)

Toni Drexler über historische Wanderbewegungen

Interview von Peter Bierl, Gröbenzell

Die Kreiskulturtage stehen in diesem Jahr unter dem Motto "Unterwegs". Das hat Toni Drexler zum Anlass genommen, sich mit dem Thema Ein- und Auswanderung in der Geschichte des Landkreises zu beschäftigen. Das Ergebnis schildert er am Dienstag bei der Volkshochschule in Gröbenzell. Wer wann woher kam und wohin ging, wollte die SZ von dem ehemaligen Kreisheimatpfleger wissen.

SZ: Wie viele Ein- und Auswanderungswellen gab es denn?

Toni Drexler: Schwer zu sagen, weil die Quellenlage zum Teil dürftig ist.

Mit wem beginnt Ihre Geschichte der Migration?

Mit der jüngeren Steinzeit, als Menschen aus Anatolien und dem Nahen Osten Ackerbau und Viehzucht brachten, vor etwa 5000 Jahren. Die Einheimischen waren Jäger und Sammler, experimentierten aber bald mit Getreide, wie wir aus Pollenanalysen aus dem Haspelmoor wissen. In der frühen Bronzezeit, vor etwa vier Jahrtausenden, spaltete sich die Gesellschaft in Hierarchien. Sie errichteten die Höhenburgen wie bei Schöngeising. Südlich von Augsburg hat man Gräber gefunden, in denen Frauen bestattet waren, die aus Mitteldeutschland und Böhmen kamen, also eine weibliche Migration, ob erzwungen oder freiwillig, wissen wir nicht.

Römer und Bajuwaren sind bekannter.

In den Legionen dienten Menschen aus dem ganzen Imperium, aus Syrien oder Nordafrika, nach dem Militärdienst ließen sich viele als Bauern nieder. Davon zeugen mehr als dreißig Gutshöfe im Landkreis. In der Völkerwanderungszeit kamen Hunnen, Goten, Langobarden, Vandalen und Alamannen dazu, aber keine Bajuwaren. Die entstanden erst in diesem Melting Pot, um 550 bürgerte sich dafür das Logo Baiern ein.

Reformation und Religionskriege lösten die nächsten Wellen aus.

Ja, Anfang des 16. Jahrhunderts flüchteten die Wiedertäufer, die die Verfolgungen überlebt hatten, nach Nikolsburg in Südmähren. Nach dem 30-jährigen Krieg waren die Dörfer entvölkert und die Grundherren holten Migranten aus Tirol und Südtirol, die Namen Sanktjohanser oder Tyroller verweisen bis heute darauf.

In Ihren Beiträgen über den Bau der Bahnlinie München-Augsburg um 1838 haben Sie geschildert, dass Tausende von Arbeitern, etwa aus der Oberpfalz kamen.

Die Industrialisierung löste umfangreiche Wanderungen aus. Aus Italien kamen Ziegeleiarbeiter und Handwerker, umgekehrt wanderten Leute von hier nach Amerika aus, einzelne, aber auch Familien und Leute, denen der Boden hier zu heiß wurde, wie die Rassoräuber von Grafrath. Schließlich gab es die Binnenwanderung ab 1880 von den Dörfern nach München, dort entstanden Vorstädte wie die Au. Die Arbeiter hausten unter erbärmlichen Bedingungen und waren den Städtern verhasst.

Im 20. Jahrhundert erhöhte sich die Bevölkerungszahl des Landkreises dramatisch, im Takt mit dem Boom Münchens.

Das sind mehrere Phänomene. Die Flucht von Juden und politischen Gegnern vor den Nazis, dann kamen gegen Endes des Zweiten Weltkriegs Ausgebombte und Evakuierte, gefolgt von den Heimatvertriebenen und schließlich die Binnenwanderung und die sogenannten Gastarbeiter. Fest steht, dass Leute zu allen Zeiten gekommen und gegangen sind, eingewandert, ausgewandert, geflüchtet und angelockt. In den Zwischenzeiten entsteht manchmal so etwas wie Heimat, ein sehr persönliches Gefühl der Geborgenheit und Akzeptanz durch das Umfeld, unabhängig von Herkunft, Geschlecht oder Religion.

Als politischer Begriff meint Heimat seit 200 Jahren Ausgrenzung, die kleinste Zelle von Stamm und Volk.

Nein, für mich hat das nichts mit Staat und Vaterland zu tun, das ist ein individuelles Empfinden. Und heute geht es sowieso um den größeren Zusammenhang von Europa. Bei der Wahl am nächsten Sonntag kann jeder etwas dazutun, dass wir nicht zurückfallen in die Nationalstaaterei von vorgestern.

Toni Drexler: Migration in der Geschichte unserer Heimat. Vortrag in der Volkshochschule Gröbenzell, Dienstag, 21. Mai, um 19.30 Uhr im Bürgerhaus.

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