Süddeutsche Zeitung

Gröbenzell:Gier, Hass, Zuneigung

Ein Skulpturenpfad im Gröbenzeller Bürgerpark soll die Spaziergänger zum Nachdenken und zu Gesprächen anregen. Künstler Hannes Götz erzählt in den Arbeiten von der Geschichte der Menschheit und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft

Von Florian J. Haamann, Gröbenzell

Wie so oft ist es ein Kind, das die einfache Wahrheit ausspricht. "Ich war hier, um zu prüfen, ob alles richtig aufgebaut ist, da kam ein kleiner Bub, vielleicht fünf Jahre, stemmt die Hände in die Hüfte und fragt: Warum sind hier diese großen Steine?", erzählt Hannes L. Götz. Eine Antwort habe er dem Buben nicht geben können, weil dieser direkt wieder weggelaufen sei. Aber der 87-jährige Künstler hat sich Gedanken gemacht. "Irgendwann ist es mir eingefallen. Diese großen Steine stehen da, damit man fragen kann: Warum stehen sie da?"

Vier Skulpturen hat der Gröbenzeller Bildhauer seiner Heimatgemeinde für einen Skulpturen- und Nachdenkpfad im Bürgerpark überlassen. Eine der Skulpturen, "Zuneigung", steht schon seit etwa einem Jahrzehnt im Park, die anderen sind vor einigen Wochen dazu gekommen und nun in einer kleinen Feier offiziell vorgestellt worden.

Es habe bereits einige kritische Diskussionen und Nachfragen gegeben, was das denn für Steine seien, berichtet Bürgermeister Martin Schäfer in seiner Ansprache. Aber genau das sei es ja, was man mit dem Skulpturenpfad wolle: Diskussionen anregen. "Wir hoffen auf Austausch, den die Menschen jetzt nötiger haben, denn je", sagt Schäfer mit Blick auf die Isolation während der Pandemie.

Was also haben diese alten Steine, die da im Park stehen, zu erzählen? Was macht sie zu Skulpturen? Warum eigenen sie sich besser, als jeder beliebige andere Stein? Weil der Künstler mit ihnen eine Geschichte erzählen will. Weil er in ihnen etwas sieht, etwas aus ihnen herausholt, etwas in sie hineinlegt. Mal deutlicher, mal abstrakter.

Götz macht es den Betrachtenden dabei einfach. Auch wenn er nicht vor Ort ist, können sie ohne großen Aufwand erfahren, was er sich bei den Arbeiten gedacht hat. Denn an jeder Skulptur ist ein QR-Code angebracht. Wer ihn mit dem Smartphone scannt, der bekommt einen erklärenden Text vorgelesen. Dieses inklusive Element war dem 87-Jährigen, der selbst immer schlechter sieht, ein Anliegen.

Die wohl am einfachsten zu "lesende" Skulptur des Pfades ist der "Tisch der Menschheit". Inspiriert von den buddhistischen Seelengiften, der Bergpredigt und Thomas Hobbes' These, dass der Mensch des Menschen Wolf sei, fasst er die menschliche Geschichte in einfacher, aber eindrücklicher Symbolik zusammen. Den Tischrand umlaufen Skelette und Knochen. Sie sollen für all die Menschen stehen, die in der Geschichte ermordet, geschlagen, geschändet worden sind. Fünf Elemente finden sich an der Oberfläche: ein "Roulette der Gier", ein Händepaar, das nach Geld greift, ein abgemagerter Mensch und vier Hände, flehend ausgestreckt So weit, so düster. Die Hoffnung kommt durch das letzte Element ins Spiel: zwei Hände, die Brot brechen.

Götz, dessen wohl bekanntestes Werk die Gedenkstätte für die Opfer des Olympia-Attentats von 1972 am Fliegerhorst ist, ist ein durch und durch politischer Künstler. Seine Arbeiten sind Kritik, Anklage, Spiegel. Aber sie bleiben eben nicht bei Hobbes stehen. In ihnen drückt sich auch der Glaube ans Gute aus. Etwa in der Skulptur "Zuneigung", die aus zwei abstrakten, einerander zugewandten Figuren besteht. "Wir müssen uns einander zuneigen, in der Familie, der Kommune, überall auf der Welt", sagt Götz. In seiner Vorstellung gibt es eine Welt, in der jeder genug Raum bekommt, Individuum zu sein, in der aber alle eng genug miteinander verbunden sind, damit sie sich nicht gegenseitig Verletzungen zufügen.

Deshalb ist es Götz wichtig, dass es nicht nur ein Skulpturenpfad ist, den die Gröbenzeller künftig besuchen können, sondern eben auch ein Nachdenkpfad. Was die Menschen von seinen Arbeiten denken, das kann er freilich nicht beeinflussen - würde er wohl auch nie wollen. Nur irgendwas, das sollten die Arbeiten schon im Kopf auslösen, so die Hoffnung.

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SZ vom 21.07.2021
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