Süddeutsche Zeitung

Gröbenzell:Abtanzen gegen Alzheimer

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Wie sich Schrittreihenfolgen gegen Krankheiten, aber auch für soziales Miteinander einsetzen lassen. Ein Projekt von Alfredo Foulkes in Gröbenzell.

Von Michelle Rigohrt, Gröbenzell

Welche Reaktion bekommt man von Menschen mit Handicap, wenn man ihnen die Führung beim argentinischen Tango am Beispiel eines Einkauftrips erklärt? "Ein Lächeln", sagt Alfredo Foulkes. Was anfangs nach einem Spiel klingt, hat durchaus einen wichtigen Hintergrund. Aber dazu später. Alfredo Foulkes ist Argentinier, ehemaliger Volleyballspieler, heute Tangolehrer und Vorsitzender des Gesundheitszentrums Gröbenzell, wo er vor 20 Jahren das Tanzprojekt "El Farolito" ins Leben rief. Ballett, Hip-Hop und Breakdance werden dort für Kinder von ausgebildeten Trainerinnen und Trainern gelehrt. Er selbst übernimmt den Tango für die Erwachsenen. "Tanzen ist ein Muss", antwortet der 64-Jährige auf die Frage, wieso er eine Tanzschule gerade in einem Gesundheitszentrum eröffnen wollte. Regelmäßig tritt er mit seinen Tanzschülerinnen und -schülern auf, wie zuletzt im Saal des Freizeitzentrums Gröbenzell bei einer Kinder- und Jugendmatinee.

Vorbei an der knarrenden Holztreppe nach oben, dem liebevoll eingerichteten, kleinen Empfang und einem Raum mit Gymnastikgeräten, befindet sich eine fast leere Fläche. Ein paar Bilder von Tänzerinnen an der einen Wand, Spiegel an der anderen. Unter den Fenstern ein paar Ballettstangen. "Schon ab vier Jahren können Kinder bei uns im kreativen Kinderballett anfangen", sagt Foulkes, denn bereits im jungen Alter sei das Tanzen wichtig für die Entwicklung. Der Tanz schenkt nicht nur denen Bewegung, die keine Freunde in den Aktivitäten des typischen Schul-Sportunterrichts finden, sondern lehre vor allem Koordination, Körperhaltung und Kraft. Wertvolle Fähigkeiten und Fertigkeiten, die förderlich für die Gesundheit sind. Schon nach einem Dreivierteljahr kann der Tanzlehrer eine aufrechte Haltung bei seinen Schülern erkennen.

Gerade weil das Projekt in einem Gesundheitszentrum stattfindet, war es Foulkes und seiner Frau Angelika, die zusammen mit ihm das Tanzprojekt leitet, wichtig, den Tanz auch außerhalb des Unterrichts in das Programm des Zentrum einzubringen. Schrittreihenfolgen werden in den Gymnastikbereich integriert: Abgesehen von den körperlichen und sozialen Vorteilen, wirke die Bewegung zur Musik beispielsweise im höheren Alter präventiv gegen Alzheimer, erklärt Foulkes, der selbst die Vorteile und die Liebe zum Tanzes für sich entdeckt hatte.

Mit 23 Jahren ist er als junger Mann nach Deutschland ausgewandert. Weg aus Argentinien, weg von der Militärdiktatur. Die Leidenschaft zum Tanz hat er aber aus seinem Heimatland mitgenommen, mit dem Ziel, sie in Deutschland zu verbreiten: "Ich wollte einfach den Menschen hier, meine Kultur nahebringen", erzählt er. Dieses Ziel setzt er auch engagiert um. Zusammen mit seinem Team besucht er Schulen, bietet Tanzunterricht an. Zu seiner Freunde finden sich in den Sportstunden immer wieder ein paar Kinder, die sich für den Tanz begeistern lassen und sich auch mal gegen Fußball im Verein entscheiden. Ein sensibles Gefühl für den eigenen Körper und die Haltung, die man für ihn, aber auch für seinen Geist entwickelt, ist für jeden Nachwuchs wertvoll.

Tanzen ist also nicht nur gut für die körperliche Gesundheit, sondern auch für die Geistige. Ein Beispiel dafür, ist die 2013 entstandene Inklusionsinitiative des Argentiniers: "Tutti in Tango" - also "Alle im Tango" - heißt das Projekt, das er zusammen mit dem Fürstenfeldbrucker Caritas-Zentrum gründete. Seitdem finden Menschen mit und ohne Behinderungen zusammen, um sich gemeinsam innerhalb eines Monats auf eine Veranstaltung im Freizeitzentrum vorzubereiten. Dort wird dann bis in die Nacht getanzt. "Menschen mit Handicaps sind sehr sensibel, haben aber Schwierigkeiten, das was sie fühlen, motorisch umzusetzen", erzählt Foulkes nicht ohne eine gewisse Nostalgie. Denn das letzte Mal fand das Projekt 2019 statt, vor der Pandemie. Er hilft den etwa 30 Teilnehmenden dabei, diese Motorik zu erlernen und die Führung beim Tanz zu halten. Wie mit einem Einkaufswagen im Supermarkt dürfen sie nicht aneinander stoßen und müssen dem Partner, der führt, vertrauen. "Bei diesen spielerischen Übungen haben alle was zum Lachen und jeder versteht trotzdem worum es geht."

Bei dem Tanzprojekt hoffen alle Beteiligten, dass nicht nur Projekte wie das "Tutti in Tango" kommenden Sommer wieder stattfinden können, sondern auch die Veranstaltungen, bei denen man zusammen kommt, vorführt, was man erlernt hat und sich gegenseitig zum Tanzen auffordert. Denn "Tanzen macht schön", sagt Alfredo Foulkes. Diese Schönheit möchte er mithilfe seines Projekts teilen. Ins Deutsche übersetzt heißt "El Farolito" übrigens "kleine Straßenlaterne". Diese leuchtet auch jeden Abend vor dem Gesundheitszentrum in Gröbenzell und lädt herzlich zum Tanzen ein.

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