Gröbenzell:Die Standhaften

Gröbenzell: In der seit Jahren leer stehenden Gaststätte "Grüner Baum" trafen sich am 12. April 1947 SPD-Anhänger zur Wiedergründung des Ortsvereins.

In der seit Jahren leer stehenden Gaststätte "Grüner Baum" trafen sich am 12. April 1947 SPD-Anhänger zur Wiedergründung des Ortsvereins.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Vor 70 Jahren gründeten Sozialdemokraten die SPD in Gröbenzell wieder. Mindestens vier von ihnen saßen zuvor für ihr politische Überzeugung im Gefängnis

Von Gerhard Eisenkolb, Gröbenzell

Zeitzeugen, die im April 1947, also vor 70 Jahren, den SPD-Ortsverein in Gröbenzell im "Grünen Baum" wieder gründeten, leben nicht mehr. Aber Kurt Lehnstaedt, der selbst acht Jahre lang Vorsitzender des Ortsvereins war und inzwischen aus der Partei ausgetreten ist, verfügt in seinem Archiv über Kopien der Aufnahmeanträge von einigen der 26 Gründungsmitglieder, die eine ganz bestimmte Facetten aus dem Leben dieser Sozialdemokraten eindrucksvoll belegen: deren politische Verfolgung zu einer Zeit, als die SPD zur staats- und volksfeindlichen Partei erklärt und verboten worden war. Zu diesen Personen gehörte beispielsweise der 1947 51 Jahre alte Erich Wolf, der von den Nationalsozialisten gemaßregelt und ins Konzentrationslager gesteckt worden war. Die Hintergründe von Wolfs Verfolgung kennt Lehnstaedt allerdings nicht.

Einen anderen Gröbenzeller Genossen, Eugen Ruf, hatten die Nazis im März 1933 bei einem Überfall auf das Arbeitsamt in München festgenommen und für vier Wochen ins Gefängnis Stadelheim gesteckt. Ruf war zum Zeitpunkt seiner Verhaftung Gewerkschaftsmitglied und Vorstandsmitglied der Münchner Arbeiterwohlfahrt. Mit dem Gefängnisaufenthalt verlor Ruf seine Stelle als Leiter der Abteilung für Arbeitslosenversicherung am Münchner Arbeitsamt.

Mathias Lanzinger, der erste Nachkriegs-Ortsvorsitzende der Gröbenzeller SPD, teilte das Schicksal von Ruf und Wolf. Auch er wurde von SA-Männern festgenommen und ins Gefängnis "Am Neudeck" gesteckt. In Lanzingers Schutzhaftbefehl stand laut Lehnstaedt unter Bezug auf die Reichtagsbrandverordnung: "Reichbannerführer und hetzt". Das Reichsbanner war ein Veteranenverband, der die Weimarer Republik gegen Feinde aus den nationalsozialistischen, monarchistischen und kommunistischen Lagern verteidigen wollte. Nach der Machtübernahme verboten die Nationalsozialisten 1933 die Organisation. Dem Reichsbanner und dem Bündnis "Eiserne Front", in dem Gewerkschaftsmitglieder, SPDler und Mitglieder des Arbeiter-Turn- und Sportbundes Widerstand gegen die Nationalsozialisten leisteten, gehörte mit Max Wönner eine weiteres Gründungsmitglied an, das ebenfalls für seine Überzeugungen ins Gefängnis gesteckt worden war.

Interessant ist auch, wer Rufs Aufnahmeantrag unterschrieb. Das war im Januar 1946 der spätere Münchner Oberbürgermeister Thomas Wimmer. Obwohl Ruf 1946 bereits in Gröbenzell lebte, trat er zuerst der Münchner SPD bei. Einige der Gröbenzeller Gründungsmitglieder machten in der Nachkriegszeit Karriere. So avancierte beispielsweise Max Wönner zum DGB-Vorsitzenden in Bayern, zudem wurde er in den Bundestag gewählt.

Neben Menschen, die für ihre Werte und politischen Überzeugungen kämpften und dafür den Verlust ihres Arbeitsplatzes und Gefängnisstrafen auf sich nahmen, gibt es noch eine zweite Personengruppe, die für die Wiedergründung charakteristisch war. Das ist ein hohe Anteil an Flüchtlingen aus dem Sudetendland, die sich bis 1938 im tschechischen Vielvölkerstaat in der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei organisiert hatten und von denen laut Lehnstaedt der stärkste Impuls ausging, sich erneut politisch zu organisieren und über ein politische Betätigung am neuen Wohnort zu integrieren. Mit Einheimischen wie Wolf, Ruf oder Lanziger hatten viele der Sudetendeutschen nach Hitlers Einmarsch die Erfahrung von Gefängnis, Schutzhaft oder fristloser Kündigung geteilt.

1947 war Gröbenzell noch keine selbständige Gemeinde. Die Siedlung bestand noch aus vier Teilen, die zu München, Puchheim, dem damals noch selbständigen Graßlfing und zu Olching gehörten. Wegen der vielen Sudetendeutschen, die den jungen Ortsverein dominierten, wurde die Gruppierung auch "Flüchtlingsortsverein" genannt. Ein Ehrentitel war das laut Lehnstaedt nicht. Die in Wohnungen zwangseingewiesenen Flüchtlinge waren nicht sonderlich beliebt. In Gröbenzell lebten nach dem Krieg in etwa 600 Häusern circa 2500 Menschen. Infolge der Vertreibung erhöhte sich die Einwohnerzahl um weitere 800 Menschen. Nach den Sudetendeutschen stellten die Zugezogenen in der SPD die zweitstärkste Gruppe. Die Alteingesessenen Gröbenzeller brachten es in der Gründungsversammlung auf nur vier der Genossen.

Bis zur Währungsreform 1948 herrschte Mangel. Deshalb prägten die Aussprachen der ersten Mitgliederversammlungen Alltagsnöte wie die Versorgung mit Lebensmitteln und Brennstoff sowie Wohnungsprobleme. Mit dem vierten Anlauf zur Selbständigkeit von Gröbenzell finden die Sozialdemokraten 1948 das die politischen Diskussionen der nächsten Jahre beherrschende Thema. Eugen Ruf, Gründungsmitglied von 1947, ist einer der Hauptakteur der Sezessionsbewegung, was ihm später laut Lehnstaedt den Ehrentitel eines "Vaters der Eigengemeinde" einbringt. Zu ihrem ersten Bürgermeister der selbständigen Gemeinde wählten die Gröbenzeller 1952 übrigens den Sozialdemokraten Bernhard Rößner.

Mit einer Lesung von Ludwig Hoegner, einem Urenkel des früheren Ministerpräsidenten und Vaters der Bayerischen Verfassung Wilhelm Hoegner (SPD), begeht die Gröbenzeller SPD am Sonntag, 21. Mai, um 16 Uhr im Bürgerhaus von Gröbenzell bei einer Feierstunde das Jubiläum. Gelesen wird aus Werken von Wilhelm Hoegner wie "Flucht vor Hitler" oder "Der schwierige Außenseiter".

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