Gröbenzell:Der Provokateur

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Der umstrittene Publizist Jürgen Elsässer spricht über die Gefahren des Islam. Auf der AfD-Veranstaltung beweist er sein Faible für NS-Begriffe und Verschwörungstheorien

Von Julia Bergmann, Gröbenzell

Während auf dem Rathausplatz etwa 500 Menschen gegen die AfD-Veranstaltung "Islam - Gefahr für Europa" demonstrieren, greift im Bürgersaal Linda Amon, die Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Dachau/Fürstenfeldbruck, zum Mikrofon: "Die vereinigte Gutmenschenfraktion hat hier gegen uns mobil gemacht", sagt sie zu den 150 Zuhörern im Bürgersaal und deutet vage nach draußen. "Aber ich glaube, wir sind mehr." Amon lacht und das Publikum antwortet mit lautem Beifall und dem Zwischenruf: "Die große Mehrheit."

Freilich, direkt vor dem Eingang haben sich nur rund 40 Demonstranten versammelt. Sie empfangen Elsässers Publikum mit Plakaten, auf denen etwa steht: "Rechtsfuzzis not welcome". Die 500 Personen, die sich keine 50 Meter entfernt davon versammelt haben, scheint Amon auszublenden. Wenig später wird der umstrittene Gastreferent und Publizist Jürgen Elsässer, der die Demonstration als "verzweifelt" und "gestrig" bezeichnet, Politikern und "Mainstream-Medien" unterstellen, sich ihre eigene Realität zu konstruieren.

Aber noch spricht Linda Amon, sie liest aus dem Aufruf der Demonstrationsveranstalter vor. Oder in ihren Worten: aus "dem Pamphlet einer sterbenden Splitterpartei" - der SPD. Sie zitiert: "Allein in Gröbenzell leben 99 Nationen zusammen - und das hier und im Landkreis mit wenigen Ausnahmen friedlich und harmonisch". Aus dem Publikum: Gelächter. "Das heißt also, wir wollen hier nicht friedlich und harmonisch leben", stichelt sie und fragt: "Wer hetzt hier eigentlich gegen wen?" Sie kommentiert: "Betrachten wir es als letzte Zuckungen eines sterbenden Systems." Wenig später geht sie dazu über, von AfD-Mitgliedern zu berichten, die sich gegen Elsässers Vortrag ausgesprochen haben. Für deren Kritik und abweichende Meinungen hat Amon lediglich Hohn übrig. "70 Jahre Nachkriegsgehirnwäsche hinterlassen ihre Spuren", sagt die Frau, die einer Partei angehört, deren Mitglieder und Sympathisanten gerne monieren, in Deutschland herrsche "Meinungs-Mainstream".

Der umstrittene Publizist Jürgen Elässer gefällt sich auf der AfD-Veranstaltung in der Rolle des Provokatuers. (Foto: Günther Reger)

Während ihrer Rede findet Amon auch harsche Worte für Bundesjustizminister Heiko Maas, dem sie unterstellt: "Er möchte die Vergewaltigung kleiner Mädchen legalisieren." Amon meint damit Maas' (auch von der CSU) kritisierte Pläne zu Ausnahmeregelungen bezüglich der Aufhebung von Kinderehen. Sie nennt Maas einen "dreisten Verbrecher". Und auch Elsässer findet später heftige Worte für den SPD-Politiker. Er bezeichnet ihn als "Scharia-Minister", nenne ihn aber auch gerne "Reichsjustizminister". Im Verlauf des Abends wird sich zeigen, dass Elsässer ein Faible für NS-Termini hegt.

Schließlich ist es so weit: Elsässer und ein Sicherheitsmann betreten das Podium. "Mein Name ist Jürgen Elsässer, ich bin Deutscher und ich werde nicht zulassen, dass unser schönes Deutschland vor die Hunde geht". Der Applaus, der auf seine Worte folgt, ist tosend und durchzogen von Bravorufen. Manch einer verausgabt sich beim Applaudieren so sehr, dass das Klatschen in den Ohren der Sitznachbarn schmerzhaft hallt. Jürgen Elsässer, das wird klar, wird von seinen Anhängern gefeiert. Einige der Anwesenden betonen, sie ließen keine Gelegenheit aus, seinen Worten zu lauschen. Unter den Zuhörern befinden sich etwa Birgit Weißmann, Vorsitzende der Münchner Pegida, und Petra Kainz von der Brigade Giesing, einer radikalen Fangruppe des TSV 1860 München, der laut Verfassungsschutz auch gewaltbereite Rechtsextreme angehören.

Elsässer gefällt sich in der Rolle des Provokateurs. Dass er ein gewisses Charisma besitzt, dass er von seinen Zuhörern für seine mitunter kokettierende Provokation geliebt wird, weiß er. Und eben jene Provokation stellt er auch in Gröbenzell gerne zur Schau. Etwa wenn er von Donald Trumps Wahlsieg in den USA spricht und mit selbstsicherem Grinsen verkündet, der "9. November war schon immer ein Schicksalstag für Deutschland, wo die alten Eliten abgewirtschaftet haben und ausgetauscht wurden". Er zählt auf und kommt zum "9. November 1938, Reichskristallnacht" Und noch ehe man erschrecken kann, schließt er an: "Wo das Verbrecherische des Nationalsozialismus offensichtlich wurde". Den 9. November 2016, an dem das Wahlergebnis bekannt wurde, reiht er in die Liste seiner Aufzählung ein. "Die Tage nach dem 9. November waren für mich - ich weiß nicht, ob man das so formulieren darf - so eine Art innerer Reichsparteitag", sagt er. Trumps Parolen gegen Einwanderer kommentiert Elsässer mit den Worten: "So spricht der Führer eines souveränen Volkes."

Schon vor Beginn der Demonstration ist der Gröbenzeller Rathausplatz fast voll. Im Laufe des Abends versammeln sich dort 500 Menschen. (Foto: Günther Reger)

Dann setzt der Compact-Chefredakteur zu minutenlangem Lob für Polizisten an, die "Prügelknaben der Nation, die alle Schande der Politik ausbaden müssen". Eben jene, "die uns auch heute wieder vorbildlich geschützt haben". Er moniert, die Beamten könnten nichts gegen Tausende Terroristen, die es in Deutschland gebe, tun, da die Politiker ihnen in die Arme fielen. Keine fünf Minuten später sagt er, er stehe hier für alle Schüler, die die "Arroganz einer neuen orientalischen Herrenrasse" fühlen und für "unsere Frauen und Mädchen - auch meine eigene gute Frau - die sich nicht mehr auf die Straßen trauen". Diese müssten immerhin damit rechnen, von Muslimen begrapscht und vergewaltigt zu werden. "Es gibt keine Staatsmacht, die unsere Frauen schützt."

Was an diesem Abend kaum reflektiert wird, ist, auf welchen Grundlagen der Islam eine Bedrohung für Europa darstelle. Als eine junge Frau von dem Referenten wissen will, was man gegen den "Islamismus" machen könne, findet Elsässer darauf keine Antwort, die einen konkreten Plan, eine Vorgehensweise oder Strategie erkennen lässt. Stattdessen hagelt es Worthülsen und Floskeln. "Es gibt unter den Türken auch die, die gegen eine Islamisierung sind. Die gilt es zu gewinnen". Recht viel konkreter wird er nicht.

Ebenfalls durch den Abend ziehen sich Anspielungen auf Verschwörungstheorien, etwa vom Gesellschaftsaustausch (Elsässer: "Wenn die Regierung die Gesellschaft austauschen will, muss die Gesellschaft die Regierung austauschen.") Und ein Herr aus dem Publikum möchte wissen, ob man belegen könne, dass Obama den IS erfunden habe. Elsässer antwortet: "Das sagt Trump und ja, das ist durchaus richtig." Applaus im Saal und fast geht der erregte Ausruf eines Mannes unter. Er meint: "Ja genau, Obama ist ja selbst Moslem."

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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