Gröbenzell:Den Querulanten im Kopf

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Mit originellem Wortwitz amüsiert Max Goldt das Publikum im Gröbenzeller Stockwerk. (Foto: Voxbrunner)

Max Goldt unterhält in Gröbenzell mit seinen Alltagsbeobachtungen

Von Karl-Wilhelm Götte, Gröbenzell

Wer kann schon auf die Idee kommen, dass Helmut Kohl und Helmut Schmidt am gleichen Tag sterben könnten und dann noch über die Wahrscheinlichkeit spekulieren, dass dies zutrifft? "Die ist 11 000 Mal höher, als dass man bei einem Flugzeugunglück ums Leben kommt", trägt Max Goldt aus seinem Text "Erläuterungen zum Stand der Dinge" einer Hundertschaft von Zuhörern bei seiner Lesung im Gröbenzeller "Stockwerk" vor. "Altkanzler Massensterben" würde dann ein Zeitungsjunge ausrufen, so Goldt, falls wir noch in den Dreißigerjahren wären. Dieser Text von Max Goldt, eigentlich Matthias Ernst, ist schon älter und kürzlich bekanntlich vom Lauf der Geschichte überholt worden. Der ehemalige Musiker hat viele Bücher mit markanten Titeln geschrieben. "Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken" ist so einer. "Schade um die schöne Verschwendung", der Titel eines Hörbuches, ist das Motto seiner jüngsten Lesereise durch die Republik. In Gröbenzell liest er aus "Räusper" vor.

Goldt ist ein akribischer Beobachter, der Menschen gerne auch in Kategorien einordnet. Da ist der Querulantentyp oder der "Quengelkopf", wie er ihn nennt. Früher hätte dieser Typ Mensch in den "schwarz-weißen sechziger Jahren" Kinder angeschrien, wenn sie ein Bonbonpapier achtlos weggeworfen hätten oder ständig Leserbriefe an Zeitungen geschickt. Heute noch würden Menschen Falschparker notieren. Selbst erlebte er auch einen Querulanten "live in Action", als dieser ihn im Zug beschimpfte, weil sein Koffer angeblich quietschende und knatternde Geräusche machte. "Mit solchen Idioten kommt Deutschland nie aus der Pleite heraus", hatte ihm ein Mitreisender verbal entgegen geschleudert. Dieser Prosatext von Goldt stammt aus dem Jahre 2008. Rückblickend sieht er ihn als Kommentar auf die damals noch nicht vorhandenen Anhänger der Pegida-Bewegung. Heute würden Querulanten weniger live auftreten, sondern im Internet quengeln.

Goldt ist ein kleiner untersetzter Mann. Er liest mit sonorer Stimme, und er liest langsam, manchmal sehr langsam, dafür sehr deutlich. Gerne zieht der 57-jährige Schriftsteller die Vokale in die Länge. "Ausgesaugt" klingt bei ihm wie ganz langes Saugen. 2008 erhielt Goldt den angesehenen Kleist-Preis. Sein Sprechtempo macht das gedankliche Nachvollziehen seiner Geschichten mühelos möglich.

Seine Geschichten sind originell, haben reichlich Wortwitz. Er erzählt von einer Reise nach Katar und einer "motorisierten Vergewaltigung" durch eine rasende verschleierte Autofahrerin. Aus seinem Räusper-Buch liest er den amüsanten Text "Freier Stuhl". Der spielt in einer "Antiheteronormativen Gaststätte", wie es draußen an der Tür steht. Drinnen macht ein Fremder dann einer Frau folgerichtig ihren männlichen Begleiter abspenstig. Lacher provozierten auch seine Beschäftigung mit den Begriffen Inspiration und Emotion. In Berlin habe ein Möbelgeschäft mit "Emotionen auf drei Etagen" geworben. "Handelte es sich da um Sitzemotionen?", fragte Goldt. Ein Schuhgeschäft animierte seine Kunden, sich vom Angebot inspirieren zu lassen. "Inspiration heißt Eingebung, nicht Anregung", klärte Goldt auf. Für die Besucher war es ein amüsanter und anregender Abend.

© SZ vom 29.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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