Hat man etwa ein Bier über den Durst getrunken? Kann das wahr sein? Aber ja, der Promillepegel liegt im unproblematischen Bereich, die Augen trügen nicht: Da zapft gerade ein Japaner das große Holzfass an. Und 140 Gäste aus 37 Nationen, die im kleinen Festzelt im Innenhof des Guts Graßlfing sitzen, prosten sich zu und applaudieren. Obwohl Nori Oka fünf oder sechs Schläge benötigt. So genau hat es Eber Andriuolo nicht gesehen. Der 47-Jährige, hohe Stirn, sorgsam gestutzter Vollbart, schwarze Shorts, ist Eigentümer der Lindenberg-Brauerei und kommt nicht, wie der Name oder auch sein Bekenntnis zum Reinheitsgebot vermuten ließe, aus Deutschland. Sondern aus dem fernen Argentinien.
Die Bierwelt ist am Donnerstag zu Gast in Olching. Biersommeliers, Brauer und Branchenexperten sind abends um kurz nach sieben aus drei Reisebussen gestiegen. Nach dem Bier ist vor dem Bier: Die meisten haben den ganzen Tag lang als Juroren des Wettbewerbs "European Beer Star" jeweils bis zu 60 Biere auf Farbe, Schaum und Geruch geprüft und natürlich auch verkostet (wenn auch in sehr kleinen Dosen), bevor sie sich in Olching zum gemütlichen Beisammensein treffen. Beim einen oder anderen Bier, versteht sich. Standardmäßig wird zur Begrüßung Olchinger Weißbier und Märzen serviert.
Der European Beer Star wird seit 2004 jährlich vom Verband Private Brauereien veranstaltet. Lokal, regional und international agierende Brauereien aus aller Herren Länder, auch jenseits Europas, schicken insgesamt um die 30 000 Flaschen oder Dosen nach München - und Juroren für die Blindverkostung. So wie Nori Oka. Der sollte eigentlich 2021 für zehn Jahre Teilnahme geehrt werden. Da fiel der Wettbewerb coronabedingt ins Wasser. Deswegen nun also die Ehre, das Fass anzapfen zu dürfen.
Am Donnerstag und Freitag werden in der Doemens-Akademie in Gräfelfing die 2168 teilnehmenden Biere verkostet. Im Biergarten der vor sieben Jahren gegründeten Olchinger Braumanufaktur von Guido Amendt und Julius Langosch ist also Halbzeit. Natürlich wissen auch die beiden nicht, wie ihr Märzen und das Dunkle abschneiden, die sie bei ihrer dritten Wettbewerbsteilnahme ins Rennen geschickt haben. Wer in den 73 Kategorien - vom Leichtbier übers Schwarzbier bis hin zum Blond Ale nach belgischer Art - Gold, Silber und Bronze gewonnen hat, wird auf der Fachmesse Drinctec Mitte September bekannt gegeben. "Früher oder später holen wir uns das Ding", scherzt Amendt. Streng geheim ist die Teilnehmerliste. Es ist also nicht zu klären, ob die vier anderen kleinen Landkreisbrauereien aus Fürstenfeldbruck, Germering und Maisach mit von der Partie sind.
Kurz nach dem Grußwort der Dritten Bürgermeisterin Ingrid Jaschke gibt's an einem Stehtisch Vorschusslorbeeren aus Argentinien - fürs Bier der Braumanufaktur, die dieses Jahr die 1000-Hektoliter-Schallmauer durchbrochen hat. Das Märzen sei exzellent, lobt der gelernte Koch und Bierbrauer Andriuolo, der selbst schon mal mit seinem unfiltrierten Kellerbier Silber gewonnen hat. Eine Urkunde und einen Glaszylinder als Trophäe gab es. Geld? Fehlanzeige. Es gibt Parallelen zwischen dem European Beer Star und den Olympischen Spielen. Jeder würde gern Gold gewinnen. Aber wenn's nicht klappt, hat man sich zumindest wieder mit guten Freunde getroffen. Dabeisein ist alles. Es gibt auch einen Unterschied zu Olympia: Doping ist geradezu Pflicht.