Süddeutsche Zeitung

Traditionelle Wirtshäuser:Anlegen am Biergarten

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Das "Dampfschiff" in Grafrath hat seinen Namen von den Passagierbooten, die zwischen 1880 und 1939 den Ort an der Amper mit Stegen am Ammersee verbanden. Die Schiffe sind zwar Geschichte, die Ausflügler schätzen den Ort aber immer noch

Von Erich C. Setzwein, Grafrath

Wenn in diesen Tagen und Wochen die Münchner, Augsburger, Brucker und Landsberger unter der Woche und vor allem an den Wochenenden ins Fünfseenland einfallen und Erholung "dahoam" suchen, dann ist das für die Anwohner der beliebten Badeseen absolut nichts Neues. Es reiht sich entlang der Zufahrtsstraßen zu den Seen Auto an Auto, alles ist so lange zugeparkt, bis die Sonne sich senkt oder ein Gewittersturm die Badenden aus dem Wasser treibt.

Freilich, vor 140 Jahren reisten die Ausflügler anders, da war die noch ziemlich neue Dampfeisenbahn von München über Buchloe nach Lindau das Verkehrsmittel der Wahl, zumal der Zug im Bahnhof Grafrath hielt. Von dort brachten mit Pferden bespannte Truhenwagen der Bauern die zahlungskräftigen Tagesgäste hinunter ins Ampertal, wo sie an der Anlegestelle das Schiff "Marie Therese" bestiegen und nach Süden durchs Ampermoos nach Stegen am Ammersee reisten. Ausflüge an die Seen waren beliebt, zumal an den "Bauernsee", wie der Ammersee genannt wurde. Die Ausflügler, die seit 1880 dorthin aufbrachen, brachten städtisches Flair und wohl auch eine gute Portion Arroganz mit, weshalb die Einheimischen immer ganz froh gewesen sein müssen, wenn die "Stoderer" wieder mit der "Mooskuh" abfuhren. Gemeint war damit das von Maffei in München gebaute Dampfboot, das während der Fahrt durch das Ampermoos mit der Dampfhupe tiefe Töne von sich gab. Und weil sich das nach den Lauten der Großen Rohrdommel anhörte, bekam das "Reserl" bald den Beinamen "Mooskuh".

Profitieren wollten sie aber doch von der neuen Einnahmequelle, die Einheimischen am See und in Grafrath. An schönen Tagen brachten ihnen bis zu 2000 Ausflügler Geld in die Kassen. Denn dort, wo sie ins Dampfboot nach Stegen ein- und später auch wieder ausstiegen, konnte gegessen und getrunken werden. Doch das Drehkreuz zum Ammersee ist längst Geschichte wie der legendäre Grafrather Märchenwald der Sechziger- und die Westernstadt der Siebzigerjahre. Geblieben ist am Amperufer die Gastwirtschaft "Dampfschiff". Und die wird weiterhin von vielen Ausflüglern und Biergartenbesuchern geschätzt.

Auch wenn in der Einfahrt zur von der Familie Braun geführten Wirtschaft ein alter Traktor steht, so wird man auf dem Parkplatz keine Truhenwagen sehen. Statt dessen ist bei Ausflugswetter stets eine Auswahl aktueller Automode zu sehen, und mancher Bauer aus der Jahrhundertwende würde sich die Augen reiben über die Kraft eines einzelnen SUV, der ihm seinerzeit sein Tagwerk leichter gemacht hätte. Aus den Autos steigen nicht nur die Gäste, die im Dampfschiff einen Steckerlfisch kosten wollen oder einen der Thementage der Wirtsfamilie Braun ausgesucht haben. Die "Restauration Dampfschiff" ist auch Motiv auf Ansichtskarten, die nach 1880 in Grafrath zu kaufen und von dort zu verschicken waren. Konnten die Ausflügler doch so ihre Anverwandten und Freunde doch etwas neidisch machen. Heute, sagt Richard Braun, verkaufe er keine Karten mehr. Wozu auch, wenn jedes frisch servierte Gericht umgehend abfotografiert und in die Internetwelt gepostet wird.

Neidisch werden kann man heute eigentlich nur noch auf die besondere Lage der Wirtschaft. Direkt am Ufer der Amper, gefiel sie auch den vor 75 Jahre einrückenden US-Truppen so gut, dass die Offiziere dort ihr Kasino einrichteten. Lage, Lage, Lage also, wie Immobilienmakler immer schwärmen, wenn sie Grundstücke wie die der Gastwirtschaft sehen. Und tatsächlich gibt es wenige Gaststätten in der Gegend, die sowohl günstig mit der Bahn wie auch mit dem Auto und mit dem Boot erreicht werden können.

Auch wenn die Familie Braun das Dampfschiff erst im Jahr 2002 übernommen hat, so betreibt sie Gastronomie doch schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts: Eine Urkunde von 1903 erinnert an den Urgroßvater von Richard Braun, sie hängt neben vielen anderen historischen Motiven in der Gastwirtschaft, in dem eine gut-bürgerliche Küche gepflegt wird. Drinnen in der verspielt eingerichteten Stube wie draußen auf der hölzernen Veranda lassen sich die Gäste Allgäuer Käsespätzle schmecken - saisonal auch die mit Bärlauch veredelten -, und die selbst gemachten Spätzle finden sich auch auf dem "Schwabenteller", auf dem sie sich in der Rahmsoße mit Lenden- und Speckstücken vereinen. Auch die leichte Küche und Spezialitäten für Vegetarier stehen auf der Karte, neu sind ein Thai Curry mit oder ohne Fleischeinlage und eine Pekingsuppe für Liebhaber asiatischer Gerichte.

Sandra Braun, die Chefin, und ihr Mann Richard sind schon die zweite Generation der Braun-Familie im Dampfschiff. Vor der Jahrtausendwende führte die Familie den Alten Wirt in Emmering und ersteigerte 2002 das Dampfschiff, das eine wechselvolle Geschichte hinter sich hatte. Das Lokal ist weit über die Grenzen des Ortes bekannt geworden, vor allem auch deshalb, weil nebenan beim Wasserwachtgrundstück die Boote zu Wasser gelassen werden können. Auf der Amper lassen sich die Ausflügler gemütlich nach Norden treiben.

Gemütlich und bodenständig geht es auch im angrenzenden Biergarten unter Kastanien weiter, wo die Spareribs auf dem Grill und die Makrelen über heißen Holzkohlen brutzeln. Dazu wird Augustiner und Kaltenberger Bier ausgeschenkt und das Weißbier von Franziskaner. Aufpassen, dass man zufällig an einem Ruhetag des Dampfschiffs an die Amper kommt, muss der Gast nicht. Das Gasthaus hat nach Schließzeit während der Corona-Hochphase wieder täglich geöffnet.

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Quelle:
SZ vom 26.08.2020
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