Grafrath:Moses im Garten

Haustier-Serie Reh

Marion Anton-Wiesneth mit Moses.

(Foto: Günther Reger)

Marion Anton-Wiesneth betreut ein blindes Reh

Von Valentina Finger, Grafrath

Seit vier Jahren verbringt Marion Anton-Wiesneth Silvester mit Moses und Aaron. Da wird in der Küche die Musik und der Dunstabzug aufgedreht - so lange, bis das Feuerwerk vorüber ist. Moses und Aaron, das Reh und der Jagdhund, sind ungleiche Freunde, die nicht nur die Furcht vor dem Neujahrsböllern verbindet. "Es ist berührend, zu sehen, wie friedlich die beiden zusammenleben", sagt Marion Anton-Wiesneth. Ihr Sohn Lukas ist Jäger. Er fand den verletzten und verwirrten Moses 2013 allein im Wald. Weil er das Kitz nicht mit dem Hund im Auto transportieren konnte, rief er seine Mutter an. In Decken gehüllt, kam Moses in ihrem Wohnzimmer an. Dort stellte die Tierärztin die Diagnose: Der Kleine ist blind. Kriebelmücken hatten sich an seinen Augen zu schaffen gemacht. In Freiheit hätte er nicht überlebt.

Die Frage war folglich: erschießen oder behalten? Für die Grafratherin war die Antwort sofort klar. "Ich habe gesagt, er kann bleiben, so lange ich das Gefühl habe, dass es ihm gut geht. Das Gefühl habe ich noch", sagt die 63-Jährige. Drei Wochen schlief Moses, dessen biblischer Name passend zu seinem Ziehbruder Aaron ausgewählt wurde, in einem Babybett im Schlafzimmer und wurde mit Ziegenmilch aus der Flasche gefüttert. Von seinem späteren Lager neben dem Kachelofen ist er schließlich in einen Stall hinter dem Haus gezogen. Dort schläft er nun stets mit dem Kopf zu der Jacke gewandt, die seine Menschenmutter anhatte, als sie ihn als Kitz auf dem Arm trug.

Seit Moses zur Familie gehört, ist alles anders. Der Garten ist komplett mit Rindenmulch ausgelegt, weil Moses den Rasen mit seinen Hufen in Morast verwandelt hat. Überall sind Bottiche mit Wiesenkräutern und Ästen verteilt. Um die heranzuschaffen, geht Anton-Wiesneth mehrmals täglich mit dem Hund auf Futtersuche. Damit Moses beim Abrupfen Widerstand spürt, müssen die Pflanzen mitsamt Erdkrume ausgestochen werden. "Mir war klar, dass ein blindes Reh im Garten, für das man das Fressen herschaffen muss, Arbeit ist. Aber es ist ja nicht nur Arbeit", sagt sie. Ein Wildtier, das sonst keinen Bezug zu Menschen hat, so nah bei sich zu haben, sei etwas ganz Besonderes. Außerdem strahle Moses eine unglaubliche Ruhe aus: "Ihn zu beobachten, wie er ganz still und leise durch den Garten streift - das ist für mich wie Yoga."

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