Grafrath:Mit den Gedanken in Liberia

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Der Grafrather Krankenpfleger Thomas Böhner sorgt sich um seine Familie und sein Hilfsprojekt in dem Ebola-Gebiet

Von Julia Berghofer, Grafrath

Momentan sollte man meinen, dass niemand freiwillig in eines der westafrikanischen Ländern reisen würde, in denen Ebola grassiert. Außer vielleicht Menschen wie Thomas Böhner. Der Krankenpfleger aus Grafrath würde am liebsten auf der Stelle nach Liberia reisen. Denn Böhner ist nicht nur der Vorsitzende des Hilfsvereins Help Liberia, sondern hat auch zahlreiche Angehörige, die mitten in oder am Stadtrand der liberianischen Hauptstadt Monrovia leben. Zur Angst um seine Familie kommt die Sorge um seine Organisation, die mehrere Krankenhäuser im Busch wiederaufgebaut hat und unterstützt. Geld und Medikamente werden langsam knapp.

Derzeit sind Böhners einheimische Mitarbeiter im liberianischen Hinterland die einzigen im näheren Umkreis von Monrovia, die noch medizinische Hilfe anbieten. In der Hauptstadt selbst, sagt Böhner, seien die Krankenhäuser und Arztpraxen seit Anfang August geschlossen. Deswegen pilgerten die Menschen zu Hunderten in den Busch, um sich behandeln zu lassen. Dort ist man personell überfordert: "In der einen Klinik, wo die meisten Patienten sind und wo fünf Helfer arbeiten, kommen normalerweise 30 bis 40 Leute am Tag. Jetzt sind es oft bis zu 120. Und dazu muss man sagen, dass die Mitarbeiter nicht bezahlt werden und nebenbei auf dem Feld arbeiten, um ihre Familien zu ernähren", schildert Böhner die Situation.

Vor kurzem sind auch noch die Medikamente ausgegangen. Damit die Patienten nicht schon an einfachen Verletzungen oder Infektionen sterben, musste Böhner trotz des Ansteckungsrisikos zwei seiner Mitarbeiter nach Monrovia schicken, zum Apotheker. "Ich bin ja froh, dass er uns noch beliefert", sagt der Krankenpfleger. "Die Arbeit muss weitergehen".

Auch wenn der Etat des Vereins derzeit bedenklich am Schrumpfen ist, hat Böhner es geschafft, zusammen mit dem deutschen Honorarkonsul von Liberia und der Hilfsorganisation Humedica zusammen einen Container mit Spenden von Deutschland nach Monrovia zu schicken. Die lebensnotwendige Fracht: Einweghandschuhe, Krankenliegen, Infusionsständer und Rollstühle. Auch das Krankenhaus Fürstenfeldbruck hat medizinisches Inventar beigesteuert.

Zudem hat Böhner auf der Website von Help Liberia eine Art Newsticker eingerichtet, in dem er täglich, neuerdings sogar stündlich, die Lage im Ebola-Gebiet schildert. Die Informationen bekommt er von Angehörigen und Freunden. Mit seiner Familie telefoniert und skypt er so oft es nur geht - mit seiner Stieftochter, die in Monrovia Medizin studiert, mit seiner Tochter, die ebenfalls in einem Krankenhaus gearbeitet hat, bevor es geschlossen wurde, und mit seinem ältesten Sohn, dessen Familie sich kaum mehr auf die Straße traut, aus Angst sich anzustecken. "Da kommen ständig Horrornachrichten", sagt er.

Denn auf den Straßen liegen die Leichen zum Teil mehrere Tage lang herum, weil ein von der Regierung beauftragtes Privatunternehmen mit der Abholung kaum nachkommt. Viele Leute holen ihre infizierten Angehörigen aus den Krankenhäusern wieder nach Hause, weil sie sie für "Sterbelager" halten. Es kursieren Gerüchte, dass die Regierung ihre eigenen Bürger umbringen will. "Die Leute haben keine Ahnung. Da läuft vieles über Mundpropaganda. Sie holen die Patienten teils mit Gewalt heraus, bewahren sie zu Hause auf und berühren sie mit den bloßen Händen", sagt Böhner. Weil Informationen ebenso rar wir essenziell sind für die Liberianer und um den kruden Verschwörungstheorien entgegenzuwirken, versendet Böhner via Email englischsprachige, bebilderte Flyer, auf denen der Verlauf von Ebola illustriert und Präventionsmaßnahmen erklärt werden.

Wenn er könnte, würde der Krankenpfleger sofort seiner Familie und den Helfern vor Ort beizustehen. Das letzte Mal sei er zwischen März und April da gewesen, damals hieß es noch, das Virus würde sich schnell von selbst wieder ausrotten. "Ich tröste mich mit dem Umstand, dass, als vor zwei Jahren im Kongo Ebola ausgebrochen ist, die Sterberate bei 90 Prozent lag. Jetzt sind es 60 Prozent".

© SZ vom 14.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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