Süddeutsche Zeitung

Grafrath:Familienbande wider Willen

Kulturverein Sankt Rasso zeigt Theatertück "Nichts Halbes - Nichts Ganzes. Die Dreiviertelschwester"

Von Larissa Kahr, Grafrath

Dramen wie William Shakespeares "Hamlet" oder Johann Wolfgang von Goethes "Faust" sind klassische Beispiele für Stücke, in denen männliche Protagonisten dominieren. Weibliche Figuren sind häufig unterrepräsentiert und dienen, wenn überhaupt, lediglich als Beiwerk, um der männlichen Hauptfigur bei der Lösung eines Konflikts zu helfen. Dabei erfährt der Zuschauer wenig über den weiblichen Charakter. Jene Figuren erreichen üblicherweise wenig Tiefgang.

Bei der Suche nach einem geeigneten Drehbuch für eine Theaterproduktion sind die Schauspielerinnen Monica Calla und Nina Carolas auf diese Lücke gestoßen. Seit ihrer Ausbildung am "Artemis Schauspielstudio" in München verfolgten die Frauen das Ziel, einer Eigenproduktion auf die Bühne zu bringen, sagt Carolas. Deshalb schrieben sie kurzerhand selbst ein Theaterstück, in dem sich zwei Frauen im Fokus der Handlung stehen und sich auf Augenhöhe begegnen. Das mache ihr Stück "Nichts Halbes - Nichts Ganzes. Die Dreiviertelschwester" zu einer Seltenheit, sagt Calla.

Das 80-minütige Stück beschäftigt sich mit der Frage, was eine Familie ausmacht und ab wann man dazu gehört. Es dreht sich um zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Anna-Lena von Stein (Nina Carolas) ist eine Karrierefrau, die den Beruf immer an erste Stelle stellt. Sie kappt alle familiären Bindungen und flüchtet in die scheinbar sichere Welt ihrer Arbeit. Diese gerät aber aus den Fugen, als die Kräuterladenmitarbeiterin Annemarie Gruber (Monica Calla) auftaucht und ihr eröffnet, dass sie Halbgeschwister sind. Die Frau mit Vorliebe für Esoterik hat sich in den Kopf gesetzt, eine Beziehung zu ihrer "Ur-Familie" aufzubauen. Sie glaubt, dass der Konflikt, der sich zwischen den Frauen entspinnt, aufzeige, dass jeder letztendlich Familie brauche.

Zwischen tragischen Elementen sorgen humorvolle Passagen immer wieder für Auflockerung, sagt Carolas. Dazu zähle etwa die Szene, in der es um die "SMART-Formel" gehe. Die Methode, die ursprünglich aus der Personalentwicklung kommt, überträgt Anna-Lena von Stein auf die Beziehung der Halbgeschwister.

Das Stück beschäftige sich nicht nur mit einer aktuellen Thematik, sondern sei auch modern inszeniert, erklärt Calla. Das spiegle sich etwa im minimalistischen Bühnenbild und in der Stückentwicklung wieder. So seien viele Passagen erst während des Probenprozesses entstanden. Der Schreibprozess und die Inszenierung seien nicht voneinander getrennt verlaufen, sondern hätten sich gegenseitig befruchtet. Jeder habe bei der Erarbeitung des Stückes einen Schwerpunkt auf die eigene Figur gelegt. Aber auch die Inspiration und Eindrücke der Partnerin seien hilfreich gewesen, sagt Carolas.

Das mittlerweile in der dritten Saison aufgeführte Stück besteche vor allem durch seine Botschaft, "mit der sich einfach jeder identifizieren kann", sagt Calla. So sei im Vorhinein nie ein Publikumsgespräch geplant gewesen. Wie selbstverständlich seien Zuschauer nach jeder Aufführung auf die beiden zu gekommen und wollten über persönliche Erlebnisse sprechen. Da seien Erfahrungen über das Leben in Patchworkfamilien ausgetauscht worden. Zudem sei der Verlust der Eltern oder sogar der mangelnde Kontakt zur Familie thematisiert worden. Das Stück berühre einfach jeden auf unterschiedliche Art und Weise.

Theaterstück "Nichts Halbes - Nichts Ganzes. Die Dreiviertelschwester", Samstag, 9. März, von 19 Uhr an im Dachsaal Marthashofen, Marthashofen 3, Eintritt 12 Euro.

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Quelle:
SZ vom 07.03.2019
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