Gespräch:"Luther wollte keine Spaltung"

Im SZ-Interview erklärt Dekan Stefan Reimers,dass er auf die Ökumene setzt und weshalb beide Kirchen an diesem Dienstagdie Thesen des Reformators feiern können

Interview von Ekaterina Kel

Mitte des kommenden Jahres gibt Stefan Reimers, Dekan der evangelisch-lutherischen Kirche, sein Amt in Fürstenfeldbruck auf. Er wechselt nach München und soll Personalchef der bayerischen Landeskirche werden. Zum Abschluss des Lutherjahres blickt er auf seine Zeit als Dekan zurück und erklärt, warum das Jubiläum der Reformation für beide Kirchen wichtig ist.

SZ: Herr Reimers, wie fühlen Sie sich, kurz bevor Sie aufhören?

Stefan Reimers: Ich bin natürlich traurig und freue mich gleichzeitig auf die neuen Aufgaben. Traurig bin ich, weil ich hier ein tolles Team verlassen muss, mit dem ich sehr gut in der Ökumene und in den Gemeinden zusammenarbeiten konnte. Außerdem hatte ich noch viel vor, das kann ich leider nicht mehr zu Ende führen. Die Kinder- und Familienarbeit in Fürstenfeldbruck zum Beispiel muss weiter aufgebaut werden. Außerdem fangen wir gerade an, in einer Arbeitsgruppe ganz frei darüber nachzudenken, wie unsere Kirche sich weiterentwickeln muss. Das muss ich jetzt auf anderen Ebenen weiterführen.

Dieses Jahr hat Deutschland 500 Jahre Reformation gefeiert. Ist das wie 500 Jahre Revolution?

Nein, gar nicht. Zunächst ist es wie 500 Jahre Geschichte einer Wunde. Es ist die Geschichte eines Christentums, das sich leider aufgespalten und sich lange extrem bekämpft hat. Das sitzt bei uns Christen immer noch tief. Umso mehr freue ich mich zu sehen, dass in den letzten Jahrzehnten beide, die katholische und die evangelisch-lutherische Kirche, ein wachsendes Verständnis für einander zeigen.

Wie funktioniert die Annäherung von Katholiken und Protestanten heute?

Es ist wichtig, erst einmal zu fragen: 'Was schätze ich am anderen?' Und die Grundlage für ein gemeinsames Christsein zu benennen. Nach Jahrhunderten der brutalen Trennung mit Wunden, vielen Toten und krassen Auseinandersetzung sehe ich, manchmal viel zu langsam, aber doch ganz klar, eine Annäherung und spüre wachsende Sehnsucht nach Gemeinschaft miteinander.

Kirchendiskussion

In der Diskussionsrunde geht es unter anderem um das Zölibat und darum, wie politisch die Kirchen sein sollen.

(Foto: Günther Reger)

Wann hat das angefangen?

Ein wichtiger Schritt von der katholischen Kirche war das Zweite Vatikanische Konzil in den Sechzigerjahren, auf dem Papst Johannes XXIII. die strenge Lehre des Vatikans ein wenig geöffnet hat und auch in die Auseinandersetzung mit den Protestanten gegangen ist. Aber auch von evangelischer Seite musste eine Öffnung passieren. Ich selbst komme aus einer Pfarrerfamilie in Norddeutschland, dort sind die Katholiken in einer kleinen Minderheit. Und ich kann Ihnen sagen, die hatten es dort auch schwer. Es ist noch nicht so lange her, da stellten sich die Vertreter beider Kirchen bei interkonfessionellen Ehen quer. Das ist - Gott sei Dank - überhaupt kein Problem mehr. Auch die Taufen erkennen wir gegenseitig an.

Und wie funktioniert das Miteinander hier im Landkreis?

Natürlich ist das hier eine stark katholische Gegend. Wir Protestanten befinden uns sozusagen in einer Diaspora-Situation. Aber die schweißt uns umso enger zusammen. Ich empfinde uns als kraftvolle Gemeinde. Und in der Ökumene leisten beide Seiten gute Arbeit. Ich kann auf eine hervorragende Zusammenarbeit mit dem katholischen Dekan Albert Bauernfeind, der leider erkrankt ist, zurückblicken. Zusammen haben wir viele gemeinsame Veranstaltungen organisiert, etwa den Studientag "Zukunft der Kirche" in diesem Frühjahr, bei dem wir kritisch nachgefragt haben: "Machen wir das Richtige? Erreichen wir die Menschen?"

Und wie lautet das Ergebnis?

Wir haben uns in Strukturen begeben, die den Menschen oft nichts mehr sagen. Viele haben zum Beispiel das große Bedürfnis nach viel mehr persönlicher und spiritueller Zuwendung vom Pfarrer. Das vernachlässigen wir noch zu sehr. Beide Kirchen müssen verstärkt nach Wegen suchen, mit den Menschen wieder mehr in Kontakt zu kommen. Uns fehlen Vernetzungen, Bezüge, Klarheit. Und wir müssen nach außen noch mehr zeigen: Wir gehören zusammen. Deshalb finde ich es sehr schön, dass der Vorsitzende der Bischofskonferenz der römisch-katholischen Kirche, Reinhard Kardinal Marx, und der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, sich enorm gut verstehen.

Kirchendiskussion

"Dem Volk aufs Maul schauen": Getreu dem Luther-Spruch diskutieren die Pfarrer Andreas Jaster und Stefan Reimers (v. li.) über die katholische und evangelische Kirche.

(Foto: Günther Reger)

Wenn die Ökumene so stark geworden ist und die Zusammenarbeit so gut funktioniert, wieso gibt es dann überhaupt noch zwei Kirchen?

Es gibt immer noch viele Unterschiede, das dürfen wir nicht vergessen. Die katholische Kirche ist als Weltkirche organisiert, der Vatikan und der Papst stehen im Zentrum. Bei der evangelischen Kirche sind die einzelnen Kirchengemeinden sehr viel freier in ihren Entscheidungen. Zwischen Bischöfen und Gemeindemitgliedern gibt es ein stärkeres dialogisches Wechselspiel. Es gibt außerdem unterschiedliche theologische Ansätze beim Abendmahl. Im Moment können Katholiken und Evangelische leider noch nicht das Abendmahl zusammen feiern.

Haben Sie je an Ihrer Konfession gezweifelt?

Natürlich hatte ich schon mal Zweifel, aber ein Übertreten kam für mich nie in Frage. Ich wollte immer schon heiraten können, im Zölibat wollte ich nie leben.

Dieser Dienstag gilt in ganz Deutschland Martin Luther und der von ihm geforderten Reformation. Mit seinen Thesen löste er eine Spaltung der Christenheit aus. Wie können sich beide Kirchen gleichermaßen über diesen Feiertag freuen?

Martin Luther war ja selbst katholisch. Er wollte keine Spaltung. Er wollte, dass die Kirche sich wieder auf ihren Kern besinnt: Jesus Christus und die biblische Schrift. Er hat daran erinnert, dass es nicht um den Papst, sondern um den Glauben geht. Damit geriet er natürlich in Konflikt mit den Mächtigen, die sehr eng mit dem Vatikan verzahnt waren. Politik und Kirche wurden vermischt und das führte zur Spaltung. Aber Luther selbst war kein Spalter. Luthers größte Erkenntnis war, dass jeder einzelne Mensch von Gott geliebt wird, unabhängig von seiner Leistung, sondern einfach als Person. Diese Zusage ist - besonders in Krisensituationen - ganz wichtig für den Menschen, und immer noch hoch aktuell. Ich finde, das können wir richtig gut miteinander feiern!

Thesenanschlag

Mit einem ökumenischen Gottesdienst feiern Katholiken und Protestanten am Dienstag, 31. Oktober, den 500. Jahrestages des Thesenanschlags zu Wittenberg. Dazu treffen sie sich um 19 Uhr in der Klosterkirche Fürstenfeld. Den Gottesdienst zelebrieren der evangelisch-lutherische Dekan Stefan Reimers und Pfarrer Wolfgang Huber aus Mammendorf, stellvertretender katholischer Dekan. Auch die Musiker stammen aus evangelischen und katholischen Pfarrgemeinden. Im Anschluss an den Gottesdienst gibt es einen Empfang für die Kirchenbesucher im Churfürstensaal. Luthers 95 Thesen von 1517 gelten als Beginn der Glaubensspaltung in Deutschland. In den Thesen wendet sich der Augustinermönch, der Luther damals noch gewesen ist, vor allem gegen die Praxis des Ablasses. Der machte es möglich, sich gegen eine Geldspende von den Sündenstrafen freikaufen zu können. Luther weigert sich, seine Thesen zu widerrufen. Einige deutsche Fürsten schlagen sich auf seine Seite, ihre Länder werden protestantisch. Ano

Widersprechen die Protestanten den Katholiken etwa nicht in vielen Sachen?

Ja, die Katholiken sagen, der katholische ist der einzig richtige Weg. Und wir sagen: Na ja, hört mal zu, man kann es auch so wie wir machen. Das ist auch ein christlicher Weg mit Gott. Aber wir sind keine Revoluzzer. Obwohl ich jedem wünschen würde, dass er oder sie tief in sich einen kleinen Revoluzzer trägt. In erster Linie heißt aber Protestant zu sein, dass man für etwas einsteht, nicht gegen etwas geht. Das Pro in dem Wort steht für die Konzentration auf Christus und auf die Gnade Gottes. Ob katholisch oder evangelisch - das sind zwei gleichberechtigte christliche Wege dahin.

Was würden Sie der Ökumene mitgeben, bevor Sie nach München ziehen?

Freut euch über den Reichtum des anderen. Sucht nicht nach dem, was ihr kritisieren könnt, sondern benennt das, wo ihr euch ergänzen könnt. Nur gemeinsam können wir in der momentanen Gesellschaft etwas erreichen und der wachsenden Zerrissenheit unsere Liebe zum anderen entgegen stellen.

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