Süddeutsche Zeitung

Gesellschaft:Der Aggression des Partners ausgeliefert

Mehr als 200 Frauen aus dem Landkreis haben sich im vergangenen Jahr an die Brucker Beratungsstelle gewandt, weil sie Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. Der Trägerverein sieht das Thema noch immer tabuisiert und geht wieder einmal verstärkt in die Öffentlichkeit

Von Jamila Christians

Der Weltfrauentag bot auch im Jahr 2019 noch kein Grund zum Feiern. Das sah auch der Verein "Frauen helfen Frauen Fürstenfeldbruck" ähnlich und nahm den Tag zum Anlass, über ein Thema zu sprechen, das sonst hinter verschlossenen Türen stattfindet. Auf dem Geschwister-Scholl-Platz platzierte der Verein einen Infostand, verteilte Trillerpfeifen und Broschüren. Inhalt der Aufklärungsmaßnahme: Gewalt an Frauen, körperliche, sexualisierte und psychische. Denn auch im Landkreis Fürstenfeldbruck ist häusliche Gewalt noch immer an der Tagesordnung. Im Jahr 2018 hat die Interventionsstelle und der Frauennotruf insgesamt 230 Opfer unterstützt.

Zudem wurden 31 Bezugspersonen und 91 Fachkräfte wie Lehrer, Erzieher und andere Pädagogen beraten, da die Fälle von häuslicher Gewalt immer komplexer werden. Insgesamt gab es 637 Beratungskontakte, 42 Prozent zum Thema häusliche Gewalt, 24 Prozent gingen um sexualisierte Gewalt. Zahlen, die für sich sprechen. Im Landkreis Fürstenfeldbruck setzt sich der Verein seit 35 Jahren gegen die Gewalt an Frauen ein. Zu dem Verein gehört der Frauennotruf, die Interventionsstelle und das Frauenhaus, die die Frauen zu umfassenden Maßnahmen beraten und auf Wunsch betreuen. Diplomsozialpädogin Ruth Lotter vom Frauennotruf, die über die Thematik aufklären möchte, weiß: "Der Bedarf an Hilfe ist unverändert." Deshalb sei es ihr Anliegen, auch am Weltfrauentag darauf aufmerksam zu machen." Denn noch immer schaue die Gesellschaft bewusst weg und "viele der Frauen wissen nicht, dass es Hilfseinrichtungen wie uns gibt", so Lotter.

Gewalt gegen Frauen wird in der Öffentlichkeit noch immer marginalisiert. "Ein gängiges Vorurteil besteht darin, dass Gewalt gegen Frauen ein Problem ist, das sich auf niedrige soziale Schichten beschränkt", so Lotter.

Zahlreiche Studien belegen jedoch, dass die Art von Gewalt transversal ist, dass sie alle sozialen Klassen, Kulturen und Religionen umfasst. Und es trifft Akademikerinnen genauso wie Kassiererinnen. Es trifft die sozial Schwachen genauso wie die Wohlhabenden. Gewalt gegen Frauen ist Ausdruck eines patriarchalen Machtverhältnisses, dass Täter nach und nach ausbauen. Deshalb ist es oft ein langer Prozess für die Frauen, sich aus der Situation zu lösen. Erschwerend kommt hinzu, dass oftmals Kinder involviert sind, das eine finanzielle Abhängigkeit besteht. Dies erschwere die Lage zusätzlich, so Lotter. Angst sei hier das Druckmittel, das die Täter systematisch einsetzten. Drohungen wie "Du wirst die Kinder nie wieder sehen" oder "Ich zerstöre dein Leben" seien gängig.

"Manchmal vergeht zwischen Beratung und konkreter Hilfe ein Jahr. Frauen brauchen in der Regel Zeit, bis sie für sich selbst erkannt haben, jetzt ist Schluss ", sagt Lotter. Die Interventionsstelle wird durch Polizei oder Jugendamt informiert. Oft wenden sich die Frauen auch selbst an den Frauennotruf. In akuten Fällen ist schnelle Hilfe gefragt. Vor allem für die Kinder, die oft Zeugen der Gewalt sind. "Je länger Kinder in dem Umfeld verbleiben, desto höher ist die Chance, dass sie später selbst zu Opfern oder Tätern werden", sagt Lotter.

Ziel ist daher, schnell zu handeln. Hier liegt eines der dringendsten Probleme. Personal und finanzielle Mittel sind knapp. So kann es vorkommen, dass Schutzsuchende abgewiesen werden. "Trotzdem versuchen wir alles, um jedem sofort zu helfen." Auch im Brucker Frauenhaus fehlt es an Personal und Plätzen. 2018 haben sich 249 Frauen an die Zufluchtsstätte gewandt, nur 17 konnten aufgenommen werden. Hauptgrund: zu wenig Plätze. Oft verweilten Frauen über einen längeren Zeitraum in der Einrichtung, so Leiterin Ulrike Jurschitzka. "Die Wohnungsnot erschwert die Lage zusätzlich und sorgt dafür, dass Frauen unter Umständen bis zu eineinhalb Jahren in der Einrichtung bleiben." Die 6 Plätze für Frauen und deren Kinder sind deshalb ständig belegt. "Doch es gibt Hoffnung. Mit Hilfe einer Stiftung aus Germering ist schon ein neues und größeres Frauenhaus in Planung", so Jurschitzka. Dies sei dringend notwendig, um die Schutzsuchende bestmöglich zu beraten und falls notwendig, einen Platz im Frauenhaus anbieten zu können.

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SZ vom 13.03.2019
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