Süddeutsche Zeitung

Geschichte:Auf Leben und Tod

Elisabeth Lang zeichnet das Schicksal von acht jüdischen Frauen aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck während der NS-Zeit nach. Zwei wurden im KZ Theresienstadt ermordet

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Als die Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 die Macht übernahmen, gab es im Landkreis Fürstenfeldbruck fast keinen Menschen jüdischer Herkunft, den sie nicht schikanieren und ermorden konnten. Das hat damit zu tun, dass in Altbayern, dem Kurfürstentum mit seinen barocken Prachtbauten, Juden vor 1813 mit wenigen Ausnahmen gar nicht leben durften, anders als in Franken und Schwaben. Eine Folge war, dass auch im Landkreis Fürstenfeldbruck keine jüdische Gemeinde existierte. Der sogenannte Judenboykott der NSDAP im April 1933 richtete sich in Bruck deshalb gegen jüdische Lieferanten aus München, der Terror gegen einzelne Personen jüdischer Herkunft. Der Gröbenzeller Musiker Kurt Schroeter musste in die Niederlande flüchten, wurde dort von den Deutschen nach der Besetzung aufgegriffen und 1944 in Auschwitz ermordet, während der Maler Hendrik Moor aus Bruck sich den Nachstellungen entziehen konnte, mit Unterstützung des Landrats. Der Besitz der Familie Amanyi in Olching wurde "arisiert", sie konnte aber nach Palästina emigrieren. Berthold Lehmann musste Zwangsarbeit leisten und wurde von einer Familie in Bruck eineinhalb Jahre bis Kriegsende versteckt, zeitweise im Wandschrank.

Die Fürstenfeldbrucker Historikerin Elisabeth Lang hat sich nun mit jüdischen Frauen im Landkreis beschäftigt und das Ergebnis beim Historischen Verein vorgestellt. Zuvor hatten bereits die Historiker Kurt Lehnstaedt, Christine Müller, Helga Rueskäfer und Tobias Weger die Leidenswege dieser Frauen erforscht. Die bekannteste war die Malerin Johanna Oppenheimer, an die ein Stolperstein erinnert. Sie wurde in Frankfurt geboren und besuchte 1900 die Damenmalschule in München. Oppenheimer lernte die Lautenspielerin Else Hoffmann kennen, zusammen zogen sie 1925 nach Schöngeising. Während der NS-Zeit war Oppenheimer im Dorf isoliert und verließ kaum noch das Anwesen, berichtete Lang. 1942 wurde Oppenheimer in das KZ Theresienstadt deportiert und dort ermordet.

Ganz unterschiedlich war das Schicksal der Schwestern Irma Löwenstein und Anna Bär sowie deren Tochter Liselotte Bär, die zeitweise in Gröbenzell zusammen lebten. Anna Bär, Jahrgang 1892, geborene Löwenstein aus Herford war Krankenschwester und konvertierte zum Protestantismus, angeblich war sie tiefgläubige Christin. 1918 heiratete sie den Schreinermeister Hans Bär, 1925 zogen die beiden nach Gröbenzell, wo der gesellige Vereinsmensch Ziegen züchtete. Hans Bär musste alle Ehrenämter aufgeben wegen seiner jüdischen Frau, die jedoch überlebte. Ihre Tochter Liselotte galt den Nazis als Halbjüdin und durfte deshalb nicht Lehrerin werden. Sie heiratete den Orgelbauer Gerhard Goldmann, der bei den Arado-Flugzeugwerken in Potsdam Arbeit fand und als sogenannter Mischling ersten Grades ab 1944 Zwangsarbeit leisten musste.

Anna Bärs ältere Schwester Irma Löwenstein, geboren 1887, konvertierte zum Katholizismus und lebte einige Zeit in einem Kloster in München, wo sie jedoch sehr unglücklich gewesen sein soll, weshalb sie im Frühjahr 1939 zu ihrer Schwester nach Gröbenzell zog. Dort lebte sie abgeschottet im Haus der Bärs, bis sie mutmaßlich von Nachbarn denunziert und im April 1941 von der SA festgenommen wurde. Irma Löwenstein starb im Januar 1943 in der Quarantänestation von Theresienstadt.

Gretl Bauer, geborene Elkan, wurde 1894 in München geboren in einer anthroposophisch geprägten Familie. Ihr Vater, der jüdischer Herkunft war, kaufte ein Grundstück von 5,5 Hektar in Esting, damals ein Ort mit 25 Häusern, sowie ein weiteres Grundstück von einem Hektar, auf dem 1913 ein Kinderheim eingerichtet wurde. Seine Frau Elise Elkan führte das Heim, nach ihrem Tod übernahm die Tochter Gretl die Leitung. 1934 ließen sich Gretl und Hans Bauer scheiden, er ging in die USA, sie blieb mit zwei halbwüchsigen Kindern. In ihrem Heim durfte sie von 1935 an nur noch jüdische Kinder aufnehmen und war allerlei Repressalien ausgesetzt, Fenster wurden eingeworfen, Parolen an die Wände geschmiert. Eine Woche nach der Pogromnacht gab Gretl Bauer auf. Das Haus übertrug sie ihrem Schwiegersohn. Nach Kriegsende eröffnete Bauer das Heim wieder und führte es bis 1963, ihr Sohn betrieb dort noch einige Zeit eine Säuglingsstation. Schließlich wurde das Anwesen verkauft und vom Erlös ließ Bauer eine Villa in Grafrath errichten. Bereits Ende 1945 hatte sie einen Gesprächskreis gegründet, aus dem zwei Jahre später die Volkshochschule hervorging.

Ungewöhnlicher verlief die NS-Zeit für zwei weitere Frauen. Anne-Lise von Branca, 1895 in der vermögenden Familie Flörsheim in Hannover geboren, heiratete Gerhard Freiherr von Branca, einen glühenden Nazi. 1932 zog das Paar nach Gröbenzell, zwei Jahre später publiziert er ein Buch, in dem er das Regime rechtfertigte. In der Siedlung wurde Anne-Lise wegen ihrer jüdischen Herkunft angefeindet und Gerhard von Branca, weil er sich von seiner jüdischen Frau nicht trennen wollte. Später erstattete er Anzeige, weil auf ihn geschossen worden war. 1940 wurden die Brancas von einer Mieterin als "arbeitsscheu" denunziert, sie musste Zwangsarbeit leisten. Anne-Lise überlebte, arbeitete später als Journalistin und verfasste 1962 eine Chronik der Gartenstadt, ohne auf die Schicksale der jüdischen Bewohner hinzuweisen. Lediglich den Todesmarsch zum Kriegsende erwähnte sie.

Gisela Amode war 1932 nach Maisach gezogen und hatte dort ein Lokal übernommen, das als Tanzcafé beliebt war und von den Nazis zur Stammkneipe erklärt wurde. Die Frau wurde 1889 in Kroatien geboren, 1922 heiratete sie in zweiter Ehe Martin Amode, einen Katholik. Er trat 1933 in die NSDAP ein, sie organisierte sich in der NS-Frauenschaft. Zuvor hatten die beiden in Landshut eine Wirtschaft betrieben. Allerdings sei ihre jüdische Herkunft dort bekannt und sie habe Drohbriefe bekommen, berichtete Amode später. Ab 1940 musste sie sich damit herumschlagen, dass die Behörden Auskunft über ihre Herkunft forderten. Als Amode 1943 von der Gestapo verhört wurde, stellte sich heraus, dass der Beamte ein entfernter Verwandter ihres Mannes war. Er half und verbrannte ihre Akte während eines Fliegerangriffs.

Als "Überraschungsgast aus New York" präsentierte Lang Gertrude Gift, die 1862 in Amerika geboren wurde, wo ihr Vater Simon Heinemann ein Geschäft betrieb. Sie heiratete Salomon Gift, mit dem sie fünf Kinder bekam. Als er 1911 starb führte sie den Seidengroßhandel fort. Ihre Tochter, die Schauspielerin Therese Giehse, floh im März 1933 vor den Nazis ins Ausland. Gertrude Gift ging nach Bruck, "aus der Schusslinie", wie Lang vermutet. Dort starb sie im Juni 1934.

Von den acht Frauen, die Lang vorstellte, wurden Oppenheimer und Löwenstein ermordet. Sie waren nicht mit einem "Arier" verheiratet wie Bär und Branca, was zeigt, dass eine solche Ehe einen gewissen Schutz bedeutete. Bauer und Goldmann überlebten, weil sie nach den Nürnberger Rassegesetzen als Halbjüdinnen allerlei Schikanen ausgesetzt waren, aber noch nicht auf den Todeslisten standen. Gift starb bereits 1934 und Amode gelang es, ihre Herkunft zu verbergen.

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Quelle:
SZ vom 25.10.2021
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