Gernlinden:Von der Einöde zur Vorstadt

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Der Arbeitskreis Geschichte aus Maisach widmet sich in der Zeitschrift Meisaha der Entwicklungdes Ortes. Die offiziell vor hundert Jahren gegründete Siedlung ist geprägt von geplatzten Großprojekten und zwei Kriegen

Von Peter Bierl, Gernlinden

Die Geschichte Gernlindens war immer wieder bestimmt vom Krieg, das zeigen die Beiträge in der Zeitschrift Meisaha. Die aktuelle Ausgabe ist dem Ortsteil gewidmet, anlässlich der Gründung der Siedlung vor hundert Jahren. Die Autoren vom Arbeitskreis Geschichte aus Maisach schildern anschaulich, sehr informativ und reich bebildert die Entwicklung von der Einöde zur Vorstadtsiedlung. Dabei stützen sie sich auf Archivmaterial und Zeitzeugen.

Wie in der ganzen Gegend, reicht die menschliche Besiedlung weit zurück. So stößt man in den Zwanzigerjahren bei Bauarbeiten auf einen großen Friedhof aus der späten Bronzezeit um 1000 vor Christus. 1322 verwüstet der österreichische Herzog Leopold nach der verlorenen Schlacht bei Mühldorf mit seinen Truppen die ganze Gegend. Gernlinden dürfte damals eine Einöde mit ein paar Höfen gewesen sein, von denen nur ein Anwesen fortbesteht. Die Bauern sind bis zur Säkularisation von 1803 dem Kloster Ettal untertan.

Nicht viel mehr als eine Holzbaracke: Der Bahnhof von Gernlinden um 1933. (Foto: Repro: Gemeindearchiv Maisach)

Seit 1840 liegt Gernlinden an der ersten Eisenbahnlinie des Landes, drei Jahrzehnte später wird ein Schrankenwärterposten eingerichtet. 1903 bekommt Gernlinden eine Haltestelle und südlich davon entsteht ein Ausflugsrestaurant, das allerdings nicht sonderlich gut läuft, wie Ortsarchivar Stefan Pfannes in seinem Beitrag schreibt. 1908 kauft Hans Veit Graf von Toerring-Jettenbach (1862-1929) das Anwesen mit 734 Tagwerk (gut 250 Hektar) nördlich und südlich der Gleise. Er ist promovierter Nationalökonom, gilt als Forstexperte und großer Förderer der Fichtenmonokultur, die zu diesem Zeitpunkt schon von Naturschützern wegen ihrer ökologischen Nachteile kritisiert wird. Er richtet einen Pflanzgarten ein. Das Geschäft läuft so gut, dass ein eigenes Rangiergleis und eine Güterhalle am Bahnhof gebaut werden. Nach Angaben von Pfannes werden 1935 bis zu fünf Millionen Fichten und täglich bis zu 1000 Liter Milch nach Pasing geliefert.

Ursprünglich wollte der Graf in Gernlinden ein Villenviertel errichten. Mitten im Ersten Weltkrieg lässt er dazu 1914 die ersten Pläne ausarbeiten. Südlich der Gleise sollen schmucke Einzelhäuser mit vorstädtischem Flair, dazu ein Bahnhofsvorplatz mit Blockbebauung und Läden entstehen. Nach allerlei Verhandlungen mit den Behörden und einer Abfuhr aus Esting, wohin Toerring expandieren will, bekommt er im April 1916 eine Genehmigung. Aber aus dem mondänen Projekt wird kriegsbedingt nichts. Stattdessen schenkt Toerring 1919 einen Teil der Fläche der Bayerische Landessiedlung. Diese soll Siedlerhäuser mit Nutzgärten für Kriegsveteranen und -invaliden errichten. (Eben darauf bezieht sich das Jubiläum, das heuer gefeiert wurde). 1920 stellt die eingetragene Genossenschaft "Graf-Törring'sche Kriegersiedlung Gernlinden" die ersten 17 Eigenheime fertig. Zeitweise gibt es sogar ein Kino, in einem Anbau des Anwesens von Michael Hornung, das sich aber anscheinend nicht rentiert.

Das Anwesen Bohne (heute Wellenstein-Haus) um 1930. (Foto: Repro: Gemeindearchiv Maisach)

Die nächste Etappe in der Entwicklung der Siedlung ist durch den Zweiten Weltkrieg bestimmt. Karl Muth beschreibt in seinem Beitrag anschaulich, wie sich der Ort durch die Flüchtlinge veränderte und auf 1765 Einwohner anwächst. 1954 verkauft die Toerring-Tochter das Gut an die Bayerische Landessiedlung. Diese will innerhalb von zwei Jahren für 30 Millionen Mark Einzel-, Reihen- und Siedlungshäuser sowie sieben Bauernhöfe für etwa 4000 Menschen errichten. Die Gemeinde stellt sich gegen das Projekt und fordert, 200 Hektar als Ausgleich an die Bauern zu verteilen, die 1935 Land für den Fliegerhorst hatten abgeben müssen.

Schließlich bleibt es bei 42 Siedlerstellen an der heutigen Ganghoferstraße nördlich der Bahn, jeweils mit großen Gärten für Obst und Gemüse, zur Selbstversorgung und für den Verkauf. Der Quadratmeterpreis liegt laut Zeitzeugen bei umgerechnet 55 Cent, die Gesamtkosten belaufen sich auf etwa 24 000 Euro. In den Siebzigerjahren ändert sich der Charakter der Siedlung. Muth schreibt, dass aufgrund von Erbteilungen die Grundstücksgrößen schrumpfen und das Areal dichter bebaut wird.

Der offenbar wenig einträgliche Kinosaal im Anbau des Anwesens von Michael Hornung um 1925. (Foto: Repro: Gemeindearchiv Maisach)

Meisaha Hefte zur Gemeindegeschichte von Maisach, Ausgabe 2019, 46 Seiten, 5 Euro. Bestellung per E-Mail an shop@geschichte-maisach.de;

© SZ vom 31.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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