Süddeutsche Zeitung

Germering:Zufluchtsort mit bekannter Adresse

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Das neue Frauenhaus hat seinen Platz mitten in der Stadt. Die Bewohnerinnen sollen sich nicht mehr verstecken müssen, sondern Selbstbewusstsein gewinnen

Von Andreas Ostermeier, Germering

Das neue Frauenhaus des Landkreises entsteht - wie auch das Hospiz - an zentraler Stelle in Germering. Die zentrale und öffentliche Lage ist vom Betreiber, dem Verein "Frauen helfen Frauen", bewusst gewählt. Nicht Anonymität soll helfen, Frauen und Kinder vor Gewalt zu schützen, sondern ein bekannter Standort. Das wirke sich positiv auf das Selbstbewusstsein und die Eigenverantwortung der Frauen aus, sagt Martina Nitsch, Projektkoordinatorin für das neue Frauenhaus. Das neue Schutzdomizil soll im kommenden Jahr eröffnet werden. Es tritt an die Stelle des bisherigen Frauenhauses, das es seit 30 Jahren gibt und dessen Adresse nicht kommuniziert wird.

"Das Verstecken wird ein Ende haben": So formuliert der Fürstenfeldbrucker Hilfeverein für Frauen seinen Anspruch. Doch können Frauen, die zuhause Gewalt erfahren haben, in einer öffentlich bekannten Einrichtung geschützt werden? Was, wenn der gewalttätige Partner sie oder das Kind bedroht? Die Antwort auf die Fragen lautet, dass ein Haus mit bekannter Adresse kein offenes Haus ist, in dem jeder unkontrolliert ein- und ausgehen kann. Das neue Frauenhaus wird laut Nitsch über bauliche Sicherheitsvorrichtungen verfügen, etwa Videoüberwachung, Eingangsschleuse, Transpondersystem für die Türen sowie speziell gesicherte Fenster.

Neben baulichen Vorkehrungen wollen die Betreiberinnen von "Frauen helfen Frauen" auch eng mit der Polizei kooperieren. Je nach Bedrohungslage sollen Maßnahmen wie Kontakt- und Näherungsverbot oder Gefährderansprache durch die Polizei erfolgen. Auch ein privater Wachdienst wird einbezogen. Wesentlicher Bestandteil des Sicherheitskonzepts werde sein, dass die Menschen in der Nachbarschaft wissen, dass die Frauen und Kinder aus dem Frauenhaus des Schutzes der Umwohnenden bedürfen. Sie hoffe auf eine offene und aufmerksame Unterstützung aus der Nachbarschaft, sagt Nitsch.

Eine bekannte Adresse hilft nach Ansicht des Betreibervereins, weitere Hilfe für die Frauen (und ihre Kinder) zu erschließen. Denn auf diese Weise können Personen aus der Familie und dem Bekanntenkreis die betroffenen Frauen auf dem neuen Lebensweg unterstützen. Aus der Isolation heraus sei Veränderung dagegen oft nur schwer möglich, sagen die Helferinnen. Zudem schämen sich Bewohnerinnen häufig, unter vertrauten Menschen ihre Gewalterfahrungen anzusprechen und Hilfe anzunehmen. Auch für die Kinder ist laut Nitsch eine Adresse besser, die sie nicht vor anderen geheim halten müssen. So könnten sie ihren Freunden erzählen, dass und weshalb sie im Frauenhaus wohnen, könnten diese zu sich einladen und wichtige Bezugspersonen aus der Familie weiterhin sehen.

Aus dem Haus heraus könnten Frauen auch Kontakt zum gewalttätigen Partner aufnehmen. Nach der Erfahrung der Helferinnen besteht oftmals der Wunsch, darüber zu sprechen, wie die Gewalt in einer Beziehung überwunden werden kann. Denn etliche betroffene Frauen wollen sich nicht von ihrem Partner trennen, sondern mit ihm weiterleben - freilich ohne physische und psychische Gewalt zu erleiden. In vielen Fällen hängt dies auch mit den Kindern zusammen, die ein Paar hat. Da ist es notwendig, darüber zu sprechen, wie ein weiteres Zusammenleben aussehen könnte oder - wenn sich eine Mutter vom Vater ihrer Kinder trennen möchten - darüber zu reden, wie sich beide Eltern den Umgang zwischen Vater und Kindern vorstellen.

Frauenhaus und Hospiz werden von der Germeringer Sozialstiftung auf einem Grundstück gebaut. Die Sozialstiftung ist und bleibt auch Eigentümer des gesamten Gebäudekomplexes, wenn er fertig gestellt ist, wird aber nicht als Träger des Frauenhauses fungieren. Um den Betrieb des neuen Hauses kümmert sich der Brucker Verein "Frauen helfen Frauen", der dies bereits in der bisherigen Einrichtung seit dem Jahr 1991 tut.

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SZ vom 05.03.2021
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