Behindertengerechter Bahnhofsumbau:Zu steil und zu lang

Die neue Rampe am S-Bahnhof Harthaus schafft gleich zwei Probleme: Rollstuhlfahrer haben Schwierigkeiten mit der Steigung, Fußgänger wählen lieber eine Abkürzung

Von Karl-Wilhelm Götte, Germering

Eine Frau steigt an der S-Bahnstation Harthaus aus dem Bus aus. Die S-Bahn nach München fährt in drei Minuten ab, da bleibt keine Zeit für Umwege, sonst sind die etwa 250 Meter zur S-Bahn nicht zu schaffen. Kurzerhand klettert die Frau deshalb über ein Geländer auf Höhe der Bushaltestelle, um direkt durch den Tunnel auf die Ostseite des Bahnhofes zu gelangen. Andere Fahrgäste folgen ihr. Der behindertengerechte Ausbau des S-Bahnhofes Harthaus wurde nach seiner Fertigstellung im Jahre 2014 zunächst allseits gelobt. Inzwischen beschweren sich viele S-Bahnfahrer, dass die Wege zwischen Bahnsteigen und Bushaltestelle viel zu lang sind. Fahrgäste haben als Abkürzung der für Behinderte gebauten Rampen Trampelpfade angelegt, eine alternative Umgehung der Rampen ist das Klettern über die montierten Geländer.

"Das ist immer eine Raserei", sagt die Zaunkletterin. Auf dem Bahnsteig muss sie zum Kurzzug noch 80 Meter nach vorne laufen. Heute erwischt sie die S-Bahn rechtzeitig. "Mit Monatskarte ist man da im Vorteil", meint die Bahnfahrerin, die aus Neugermering kommt. Müsse man Streifen stempeln oder die Karte erst am Automaten kaufen, wird es regelmäßig knapp. Häufig helfe dann nur, wenn jemand die Tür blockiert. Meistens fahre sie dann sowieso einen Bus früher. Die knappe Busanbindung der beiden Buslinien 851 und 857 an den S-Bahnhof Harthaus ärgert viele Fahrgäste. Der offizielle Fahrplan lässt nur vier Minuten Zeit für etwa 250 Meter. "Häufig kommt besonders der 857 zu spät und es bleiben nur zwei Minuten", klagt eine andere Germeringerin. "Dann können nur Sprinter die Bahn erreichen." Ältere Menschen oder gar Gehbehinderte oder Rollstuhlfahrer müssen ohnehin auf die nächste S-Bahn in 20 Minuten warten.

"Selbst die Jungen schaffen es bei Busverspätung nicht", sagt Helga Betz, Vorsitzende des Seniorenbeirats. Der Beirat sei schon mehrmals im Brucker Landratsamt gewesen, das den Buseinsatz verantwortet. "Immer wieder hat man uns einen besseren Fahrplan der Busse versprochen", so Betz, aber auch im vorigen Dezember ist beim Fahrplanwechsel wieder nichts passiert. "Das sind elendslange Wege", klagt auch Anton Mader, der Vorsitzende des Germeringer Behindertenbeirats. Für ihn steht fest: "Da wurde an den Bedürfnissen der Behinderten vorbeigeplant." So sieht es auch eine gehbehinderte ältere Germeringerin, die gerade an zwei Krücken mühsam die Rampen heruntergeht, um den nach Neugermering fahrenden Bus zu erreichen. "So lange Wege", beklagt sie sich. "Wer hat das bloß geplant?"

Behindertengerechter Bahnhofsumbau: An den Fahrgästen vorbei geplant: Die meisten Fahrgäste benutzen lieber den Trampelpfad als den offiziellen Weg.

An den Fahrgästen vorbei geplant: Die meisten Fahrgäste benutzen lieber den Trampelpfad als den offiziellen Weg.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Die Deutsche Bahn hatte mit Fördermitteln des Bundes und des Freistaates den barrierefreien Ausbau vorgenommen. Am Ende hat das Projekt 3,8 Millionen Euro an Steuergeldern gekostet. "Die Kosten für den Unterhalt des Bahnhofs übernimmt dann die Bahn", so ein Bahnsprecher aus München. Nicht nur die Wege wurden neu angelegt. "Auch die Bahnsteigdächer und die Anhebung der Bahnsteige um 20 Zentimeter von 76 auf 96 Zentimetern wurden davon bezahlt", erläutert der Bahnsprecher. Ansonsten sei der barrierefreie Ausbau einer S-Bahnstation ein Standardbau. "Die Rampen müssen bei einem maximalen Gefälle von sechs Prozent alle zehn Meter ein Podest ohne Steigung haben", fährt der Bahnsprecher fort. "Dort sollen sich die Rollstuhlfahrer ausruhen können." Doch von ebenen Podesten alle zehn Meter ist auf den steilen Wegen nichts zu erkennen. Schaut man genau hin, sind kurze, ungerade Schwellen auszumachen, die einen Rollstuhlfahrer sicherlich nicht vor dem Zurückrollen bewahren, wenn er anhält. "Da ist viel Geld in den Sand gesetzt worden", schimpft Mader weiter. "Das Gefälle der Rampen ist nicht machbar für Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte."

Nach der Fertigstellung des barrierefreien Umbaus hatte die Bahn zunächst ein Schild aufgehängt, das einen durchgestrichenen Rollstuhlfahrer zeigte. "Sie haben Rampen für Rollstuhlfahrer gebaut und dann gleich für diese gesperrt", erinnert sich Herbert Sedlmeier noch gut. "Das war ein Schildbürgerstreich der Bahn." Sedl-meier ist im Stadtrat zuständig für die Belange der Behinderten. Auf Nachfrage bei der Bahn wurde ihm erklärt, dass die Rampen mit mehr als sechs Prozent Gefälle zu gefährlich für Rollstuhlfahrer seien. Die Rampen hätten, um die sechs Prozent Neigung zu erreichen, länger gebaut werden müssen, habe die Bahn argumentiert, so Sedlmeier. Dafür habe dem Unternehmen der eigene Grund gefehlt. "Es hat damals ein halbes Jahr gedauert, bis die Bahn ein anderes Schild aufgehängt hat", erzählt Sedlmeier, der sich selbst mit einem Rollstuhl fortbewegt. Jetzt dürfen die Rollstuhlfahrer laut neuem Schild trotz etwas mehr als sechs Prozent Gefälle die neuen Rampen doch benutzen.

Mit glänzenden rostfreien Stahlgeländern rund um den Bahnhof hat die Bahn nicht gespart. Die Geländer gehören offenbar auch zum Standardprogramm. "Der Umfang dieser Geländer steht in keinem Verhältnis", kritisiert Mader weiter. Tatsächlich, wo man hinschaut, Geländer, an denen sich aber kaum ein Mensch festhalten kann. Das Geländer ist eher dazu da, überklettert zu werden. Die knappe Busanbindung hat besonders auf der Ostseite, also dort, wo die S-Bahn aus München einfährt, einen Trampelpfad zum Park & Ride-Parkplatz entstehen lassen. Mittlerweile ist der schon mehr als einen Meter breit. Er führt an allen neu errichteten Wegen vorbei direkt zum Bus und erspart so einen Umweg von bis zu 80 Metern.

Behindertengerechter Bahnhofsumbau: Die Rampen entsprechen mit mehr als sechs Prozent Gefälle nicht den Maßgaben der Barrierefreiheit.

Die Rampen entsprechen mit mehr als sechs Prozent Gefälle nicht den Maßgaben der Barrierefreiheit.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Für S-Bahnfahrer, die in Harthaus im vorderen Teil der S-Bahn aus München ankommen und deshalb den Bahnsteig nach hinten zum Busparkplatz zurücklaufen müssen, kommt es häufig auf jede Sekunde an, um den Bus nach Neugermering und darüber hinaus zu erreichen. Falls die S-Bahn nur ein, zwei Minuten zu spät eingefahren ist, hat jeder Mühe besonders den Bus 851 zu bekommen. Laut Fahrplan fährt die Linie 851 immer drei Minuten nach Ankunft der S-Bahn aus München ab, der nachfolgende 857 fünf Minuten nach Ankunft der S-Bahn. Kommen Fahrgäste aus Richtung Herrsching fahrplanmäßig in Harthaus an, sind beide Busse, die alle 20 Minuten verkehren, gerade weggefahren. Sie erreichen sie nie. Andere wetzen, was das Zeug hält und meiden die offiziellen Wege. "Die Wege und die Treppe sind viel zu umständlich angelegt worden", sagt ein Pendler, der zu seinem Auto am Park & Ride-Parkplatz den direkten Weg über den Trampelpfad gewählt hat.

So sehen es viele S-Bahnfahrer, die selbst bei Schnee und Eis den rutschigen Trampelpfad wählen. Der Stadt Germering ist das Problem längst bekannt. "Wir haben das auf dem Schirm", bestätigt Stadtbaumeister Jürgen Thum. "Wir denken darüber nach, aus dem Trampelpfad auf eigene Kosten einen sicheren Weg zu machen." Doch das kann dauern, weil mit der Bahn zu verhandeln ist. Thum berichtet von den langwierigen Gesprächen mit der Bahn über einen Aufzug am S-Bahnhof Germering. Die haben Jahrzehnte gedauert. Stadtrat Herbert Sedlmeier erinnert sich noch an entsprechende Initiativen der Stadt in den Achtzigerjahren. Demnächst wird der Aufzug auf Kosten der Stadt endlich in der Mitte des Bahnhofs gebaut. Bisher müssen Behinderte, Rollstuhlfahrer und Frauen mit Kinderwagen, die nach München fahren wollen, einen langen Umweg von bis zu 800 Metern bis ans Ende des Gleises zurücklegen, um dort über mehrere Rampen, oder besser: Serpentinen, in der Marktstraße, also kurz vor dem Volksfestplatz, zum Zug zu gelangen.

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