Germering:Völlig losgelöst

Sehenswertes Gastspiel des Ensembles "Estampie" in der Stadthalle

Von Klaus Mohr, Germering

Das Mittelalter boomt auf vielen Gebieten. Und weil die Zeit so lange her und die Überlieferung oft lückenhaft ist, bietet diese Zeitspanne ideale Möglichkeiten, der Fantasie freien Lauf zu lassen. Was man nicht rekonstruieren kann, das füllt man eben mit eigenen Ideen auf. Das Fluidum des Exotischen gehört zur Gruppe "Estampie", die im Amadeussaal der Stadthalle gastierte, unbedingt dazu. Im aktuellen Programm "Amor Lontano - Multikultur am Hofe des Stauferkaisers Friedrich II." war das Mysterium des Unbekannten nicht nur zeitlich, sondern auch geografisch ausgeweitet auf Musik aus dem arabischen Raum.

Wer den Saal betrat, der entdeckte eine Vielzahl kaum bekannter Instrumente auf der Bühne, die in ihrer farbigen Ausleuchtung ein Interieur orientalischen Ursprungs vermittelten. Leider waren nicht so viele Musikfreunde gekommen, wie es wünschenswert gewesen wäre, so dass die Besucherzahl nur etwa fünfmal so hoch war wie die der Musiker.

Das Ensemble "Estampie" besteht seit der Gründung 1985 im Kern aus Sigrid Hausen (Gesang), Michael Popp und Ernst Schwindl. Hinzu kamen in Germering ein Perkussionist sowie zwei Musiker aus Marokko, Aziz Samsaoui und Iman Kandoussi (Gesang). Weltliche Musik des Mittelalters hat vielfältige fremde Klänge, erleichtert dem Hörer den Zugang aber insbesondere dadurch, dass es häufig Wiederholungen einzelner rhythmischer oder melodischer Muster gibt und die Anlage von Liedern häufig strophisch ist. Das war auch beim ersten Lied eines Troubadours so, das Sigrid Hausen vortrug und das von Laute, Zither, Trommeln, Drehleier und Orgel-Portativ begleitet war. Die Melodie ging kaum über einen Viertonbereich hinaus, der Text war hier und auch später schon deshalb unverständlich, weil er in mittelhochdeutsch, französisch oder einer anderen Sprache abgefasst war. Der Gesamteindruck hatte aber eine beeindruckende Sogwirkung, weil der Hörer mit Ohren und Augen zugleich beschäftigt war und die Mischung der Klänge immer wieder aufs Neue faszinierte. Eine Anpassung an das 21. Jahrhundert stellte die Verstärkung dar, wodurch eine Lautstärke erreicht wurde, wie man sie heute aus der Popmusik kennt. Da solche Lieder quasi die populäre Musik des Mittelalters darstellten, handelte es sich gewissermaßen um eine Adaption an heutige Gewohnheiten.

Eine alte arabische Poesie der Liebe war in einem anderen Stück in Musik übertragen. Der arabische Gesang war sehr ausdrucksstark und korrespondierte auch mit den exotischen Gewändern der Musiker aus 1001 Nacht. Hier gab es viele Zwischentöne, und es waren Töne angeschliffen. In der sehr kraftvollen Tongebung wurden Töne weich verbunden ineinander geführt. Der Eindruck, dass stets Raum für interpretatorische Anteile gegeben war, wirkte sehr überzeugend. Das Instrumentarium war dem des Troubadour-Liedes sehr ähnlich und die Begleitung basierte auch hier auf vielfach wiederholten Patterns.

Bei aller Routine, die Estampie in der Bühnenpräsenz ausstrahlte, waren die Musiker doch mit offensichtlicher Begeisterung bei der Sache. Dazu gehörte auch, dass die erläuternden Zwischentexte sachkundig waren, aber doch irgendwie spontan wirkten. Damit vermittelten sie nicht den Eindruck, dass alles im Vorhinein bis ins Detail abgesprochen war. Für die Konzertbesucher war der Abend offensichtlich nicht nur inspirierend, sondern regte auch zur Verlängerung an: Auffallend viele Zuhörer kamen nach der Pause mit CDs des Ensembles Estampie an ihren Platz zurück, die Sicherung zahlreicher optischer Eindrücke stellten Handyfotos sicher. Großer Beifall war dem Ensemble Estampie am Ende sicher.

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